Kunst Joseph Beuys als Aktivist und Künstler unter vielen

Berlin/Hamburg · Joseph Beuys wäre heute wahrscheinlich ein Anhänger von Greta Thunbergs Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“, oder er würde den Whistleblower Edward Snowden unterstützen. Vielleicht aber ist umgekehrt auch Greta Thunberg eine würdige Nachfolgerin des Universalkünstlers, der im Mai 100 Jahre alt geworden wäre.

 Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt Videos der Performances von Beuys und nimmt Bezug auf Werke anderer Künstler.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt Videos der Performances von Beuys und nimmt Bezug auf Werke anderer Künstler.

Foto: dpa/Marcel Kusch

Wie Thunberg immer freitags mit ihrem selbstgemalten Plakat „Skolstrejk för Klimatet“ vor dem schwedischen Reichstag demonstrierte, war das auch ein Happening ganz im Sinne Beuys‘: eine künstlerisch-politische Aktion, und jeder darf mitmachen.

So wie Beuys wirken heute Aktionisten wie Thunberg tief in die Gesellschaft hinein. Das ist der Ansatz der großen Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen „‚Jeder Mensch ist ein Künstler‘ – Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ (bis 15. August). Die Schau läutet den großen Ausstellungsreigen im Beuys-Jubiläumsjahr ein. Ob sie kommende Woche wegen Corona geschlossen wird, steht noch nicht fest.

Die in 13 Kapitel gegliederte Ausstellung orientiert sich am Leitspruch von Beuys (1921-1986), wonach jeder Mensch ein Künstler sei. Das Besondere: Es werden nur Videos und Fotos der spektakulären Aktionen von Beuys gezeigt, aber keines seiner berühmten Kunstwerke wie Schlittenrudel oder Badewannen. Zehn Jahre nach der großen Beuys-Werkschau in der Kunstsammlung will das Kuratoren-Team keinen Abklatsch, sondern den Einfluss Beuys‘ bis heute demonstrieren. „Finden wir da noch etwas in Joseph Beuys, was uns Ideen für die Zukunft gibt, oder ist das nicht der Fall?“, lautet nach Worten von Kunstsammlungs-Direktorin Susanne Gaensheimer die zentrale Frage.

Beuys‘ legendären Auftritten, wie 1965 in Düsseldorf mit einem toten Hasen im Arm und den Kopf mit Honig und Blattgold überzogen oder Jahre später mit einem lebenden Kojoten in einer New Yorker Galerie, werden Aktionen heutiger internationaler Künstler und Aktivisten gegenübergestellt. So treten etwa auch der Autor Michel Houellebecq, die Künstler Jenny Holzer und Santiago Sierra oder die pakistanische Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai in Dialog mit Beuys.

Statt schweigender Kunstwerke empfängt die Besucher eine wirre Geräuschkulisse in der Klee-Halle. Beuys‘ Aktionen gibt es nur als Schwarz-Weiß-Filme, die Happenings von heute sind auf vielen Monitoren in Farbe zu sehen. Es kommt zu spannenden Verbindungen. So wird Beuys‘ „Boxkampf für direkte Demokratie“ von 1972 ein Film von Demonstranten in Thailand gegenübergestellt, die mit Handzeichen gegen die Regierung demonstrieren.

Beuys hat in der Schau keinen herausragenden Platz. Er ist einer von vielen Aktivisten. Nur wenige Kunstwerke lockern die auf Videos ausgerichtete Präsentation auf, etwa die bunten Banner von Phyllida Barlow, die wie Protest-Transparente wirken, aber einzementiert sind. Anklänge zumindest an die Materialien, die Beuys verwendete, liefert eine Installation aus Kohlestücken, geschichteten Ziegeln und zwei Plattenspielern des südafrikanischen Künstlers Dineo Seshee Bopape.

„Beuys ist zweifelsohne eine der einflussreichsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts“, sagt Gaensheimer. Als Zeichner, Bildhauer, Politiker und Aktivist habe er wie kein anderer europäischer Künstler in der Nachkriegszeit den Kunstbegriff „radikal erneuert und erweitert“. Nach Beuys‘ eigenen Worten war jeder Mensch da, wo er seine Fähigkeiten entfaltete, ein Künstler – „ob er nun bei der Müllabfuhr ist, Krankenpfleger, Arzt, Ingenieur oder Landwirt“.

Die Ausstellung beleuchtet nur einen Aspekt der ambivalenten Künstlerfigur Beuys. Rund 25 Museen und Einrichtungen beschäftigen sich in den kommenden Monaten mit sämtlichen Facetten Beuys‘ – auch sein politisches Gedankengut wird auf den Prüfstand gestellt. Freunde, Gegner, Schüler und Politiker werden zu Wort über den „heiligen Jupp vom Niederrhein“ kommen. „Wir steigen in das Gespräch ein, und zwar so kontrovers und provokativ, wie Beuys es auch getan hat und wie er es auch verdient und gewünscht hat“, sagt Catherine Nichols, die mit dem Beuys-Experten Eugen Blume die künstlerische Leitung des Jubiläumsjahres innehat.

In der Diskussion um angeblich völkisches Gedankengut bei Beuys hat Blume eine klare Meinung: „Ich kann dieses völkische Gedankengut beim besten Willen nicht entdecken.“ Er habe viele Jahre intensiv über Beuys geforscht und er sei auch „kein Beuys-Fanatiker“. Ein völkisch denkender Beuys würde die progressiven Ideen, die der Künstler in die Gesellschaft gebracht habe, annullieren.

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