Das Album „Lost Themes III - Alive After Death“ von John Carpenter „Ennio, weniger Noten bitte“

Saarbrücken · Früher ließ er uns im Kino gruseln, erzählte vom Bösen und einem bröckelnden Amerika. Mittlerweile ist Regisseur John Carpenter 73 und veröffentlicht am Freitag sein drittes Album jenseits seiner Filmmusik.

Regisseur und Musiker (und begnadeter Sofasitzer und PC-Spieler) John Carpenter.

Regisseur und Musiker (und begnadeter Sofasitzer und PC-Spieler) John Carpenter.

Foto: Sacred Bones

Ach, was ließ er uns im Kino einst gruseln. In „Halloween“ ließ US-Regisseur John Carpenter das menschgewordene (und unkaputtbare) Böse mit Küchenmesser durch die Vorstadt stapfen. In „The Fog“ ließ er salzwässrige Piratengeister ein Küstenstädtchen terrorisieren. Und in „Das Ding aus einer anderen Welt“ ließ er ein Wesen aus dem All eine US-Polarstation attackieren – mit garstigen Folgen für alle Beteiligten und ohne Happy End.

Doch mit das Gruseligste, was Carpenter, der Regisseur und Musiker, uns seit langem kredenzt hat, ist die jaulende Klischee-Schweinerock-Gitarre, die einige Stücke seines jüngsten Albums geradezu zersägt. Das ist eine musikalische Kröte, die zu schlucken einem auch als altgedienter Fan, der Carpenter gerne rundum verteidigt, nicht ganz leicht fällt.

„Lost Themes III – Alive After Death“ heißt dieses mittlerweile dritte Album von Carpenter abseits seiner Kino-Arbeit. Für fast alle seine Filme hatte Carpenter selbst die Musik geschrieben: von seinen Studentenfilmen und seinem schwarzhumorigen Uni-Abschlussfilm „Dark Star“ (1973) bis hin zu seinem vorletzten Kinofilm „Ghost of Mars“, der auch schon 20 Jahre alt ist. Carpenters Filmmusiken sind ein Fall für sich: vor allem in den frühen Jahren minimalistische, atmosphärische Synthesizerklänge, für deren Melodien man an den Keyboards nicht allzu viele Finger braucht. Diesen Minimalismus empfahl Carpenter gerne auch anderen Komponisten, wenn sie für seine Filme engagiert waren. Nahezu legendär ist das, was er dem möglicherweise überraschten Ennio Morricone sagte, als der für „Das Ding aus einer anderen Welt“ komponierte: „Ennio, weniger Noten bitte“. Morricone schrieb dann ein derart reduziertes Titelthema, dass fast jeder glaubte, das könne nur von Carpenter stammen.

 Carpenter, flankiert von Daniel Davies (l.) und Sohn Cody auf der Albumhülle.

Carpenter, flankiert von Daniel Davies (l.) und Sohn Cody auf der Albumhülle.

Foto: Cargo Records

Wechselvoll war seine Laufbahn: Früh galt Carpenter als geniales Wunderkind, dann lange als Abgetakelter, der an seine Glanzzeit der 1970er und frühen 1980er nicht anknüpfen konnte, heute als in Ehren ergrauter Elder Statesman – ein wenig wie Helmut Schmidt in seinen letzten Jahren, wobei sich die beiden im Nikotin-Abusus wohl nichts schenken würden.

Die Regiekarriere des 73-Jährigen ist wohl beendet – seinen jüngsten Kinofilm, den soliden, aber nicht weltbewegenden Gruseler „The Ward“ drehte er 2010. Seitdem sitzt Carpenter nach eigenen Angaben auf dem Sofa, schaut Baseball, spielt PC-Spiele und streckt gerne die Hand nach einem Scheck aus, sobald eines seiner alten Werke neu (und schlechter) verfilmt wird: „The Fog“, „Assault“ und „Halloween“, letzterer immer und immer wieder, zuletzt sogar mit Carpenters Mitwirkung.

 Carpenter flankiert von Daniel Davies (links) und seinem Sohn Cody Carpenter.

Carpenter flankiert von Daniel Davies (links) und seinem Sohn Cody Carpenter.

Foto: Sacred Bones

Parallel dazu hat er eine späte Zweitkarriere als Musiker begonnen: Mit Sohn Cody und Patensohn Daniel Davies (Sohn von Dave Davies von den Kinks) hat er 2015 mit „Lost Themes“ sein erstes Album mit Nicht-Filmmusik aufgenommen, 2016 folgten „Lost Themes II“ und viele Konzerte weltweit. Weit entfernt von Carpenters Kinokompositionen waren diese Instrumental-Alben nicht: wabernde Keyboardklänge, pulsierende bis scheppernde Rhythmen, so schnörkellos wie effektiv, Elektronik mit Ausschlägen in Rock und Progressive Rock.

Das setzt das Album „Lost Themes III“, das am Freitag erscheint, nun konsequent fort. Album- wie Songtitel wirken dabei fast plakativ-parodistisch: von „Vampire’s Touch“ über „Skeleton“ und „The Dead Walk“ zu „Carpathian Darkness“. Wer weiß – vielleicht ist diese Hinwendung zu wohlig trivialen Gruselmustern auch eine Flucht für Carpenter, der in nicht wenigen seiner Filme mit dem Zustand der USA haderte und sich um deren Zukunft sorgte: In seinem Klassiker „Die Klapperschlange“ war Nordamerika ein Polizeistaat, in „Sie leben“ waren die gutfönten Yuppies der Ronald-Reagan-Ära in Wahrheit Außerdirdische, die die Welt unerkannt unterwandert haben und den Raubtierkapitalismus predigen. Und in „Flucht aus L.A.“ wurden die USA von einem rassistischen Präsidenten mit merkwürdiger Frisur beherrscht, der gerne Mauern und Lager errichtet (der Film startete 21 Jahre vor Trumps Präsidentschaft).

So gesehen, waren die „Lost Themes III“-Musikaufnahmen zu imaginären Horrorfilmen eine willkommene Ablenkung zu der realen USA-Polit-Geisterbahn, so beschreibt es Carpenter jedenfalls in einigen Interviews zum Album. „Alive After Death“ ist klassischer Carpenter mit einem gewissen Retro-Gefühl – manchmal klingen die sämigen Synthesizer wie aus den 1980ern, der Stampf-Techo von „The Dead Walk“ hat ein nostalgisches 90er-Aroma, unterfüttert von einer scheppernden Gitarre à la Metallica.

Zumeist zart beginnen die Stücke, mit minimalen Piano-Motiven oder pulsierenden Rhythmen – der Grusel kommt bei Carpenter bevorzugt langsam um die Ecke, um sich dann aber musikalisch breit zu machen. Am breitesten wohl im Stück „Weeping Ghost“, bei dem das Trio unheilschwanger wabernde Keyboardklänge mit treibendem Rhythmus und einem kernigen Gitarrenmotiv verbindet. Zugleich legt Carpenter auf dem Album mit „Turning the Bones“ eines seiner zärtesten Stück vor. Balladesk, von schlichter Schönheit und gitarrenfrei – was wohltut, ist dieses Instrument, wie erwähnt, doch in einigen Stücken unglücklich und dominant eingesetzt, wie ein bräsiges Rock-Klischee. Da war Carpenter schon mal raffinierter.

 Spätkarriere als Musiker: John Carpenter 2018 in der Albert Hall in Manchester bei seiner damaligen Europatournee.

Spätkarriere als Musiker: John Carpenter 2018 in der Albert Hall in Manchester bei seiner damaligen Europatournee.

Foto: picture alliance / Photoshot/dpa Picture-Alliance / Photoshot

Aber wie es eben ist mit diesem großen Charakterkopf des US-Kinos. Selbst wenn er nicht seinen besten Tag hat, ist es interessant, zu sehen oder zu hören, was er tut. Und die Tatsache, dass ihm eine späte Zweitkarriere gelungen ist, noch dazu in kleinfamiliärer musikalischer Heimwerkelei, ist zutiefst sympathisch.

John Carpenter: Lost Themes III - Alive After Death (Sacred Bones/Cargo Records).

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