St. Wendel Jazzige Sternstunden zum Finale in St. Wendel

St. Wendel · Mit Joachim Kühn und Michel Portal gastierten zwei international Jazz-Größen zum Abschluss des Festivals im Saalbau.

 Tasten-Grandseigneur Joachim Kühn.

Tasten-Grandseigneur Joachim Kühn.

Foto: Steven Haberland

Wer bereits Marius Nesets Auftritt am Vorabend als Triebkraft-Attacke empfand – wie mochte es demjenigen wohl erst am Sonntag beim Energie-Overkill des Emile Parisien-Quintetts mit Tasten-Grandseigneur Joachim Kühn ergangen sein? Auch das vorgeschaltete Duo-Konzert von Bojan Z. und Altmeister Michel Portal lief auf enormem Intensitätslevel.

Adieu, Gemütlichkeit: Die mit stehendem Beifall gefeierte zweite Soirée Française zum fulminanten Finale des 28. St. Wendeler Jazzfestivals forderte die Hörer. Und sie machte klar, dass die beiden Senioren – Pianist Kühn ist 74, Saxofonist/Klarinettist Portal schon 82 – immer noch gehörig Mumm in den Knochen haben und es auch in Sachen Progressivität mit der jungen Generation locker aufnehmen können. Dass sie mächtig Spaß auf der Bühne haben sowieso: Mit hingebungsvollem Strahlen fuhrwerkte Kühn wie der Teufel, und Portal freute sich vor Rührung wie ein kleiner Junge. Wäre Portal, der zeitgenössischen E-Musik ebenso zugetan wie dem Jazz, ein müder Traditionalist, hätte er auch nicht den Pianisten Bojan Zulfikarpasic (Z.) zum langjährigen kongenialen Partner erkoren. Es dürfte zum einen nicht einfach sein, der Dominanz des gebürtigen Serben etwas entgegen zu setzen: Wenn Z. in die Flügeltasten greift, entfacht er einen so zwingenden, wuchtigen  Drive, dass jeder Boogie-Woogie-Pianist vor Neid erblasst. Zum andern experimentiert er gerne mit Sounds und bediente hier parallel ein mit allerlei Effekten klangverfremdetes Fender Rhodes Piano. So legte Z. ein durchaus vertracktes Fundament, in das Portal sich rhythmisch einklinken oder über dem er frei fantasieren konnte: leidenschaftliche Melodien mit Ethno- und Folklore-Einflüssen, mal melancholisch, mal in halsbrecherischem Tempo – faszinierend.

Nach einem breiigen Intro-Geplänkel mit diffusen Hall- und Echofahnen fanden danach auch Frankreichs Saxofon-Star Emile Parisien und seine Mannen zu organischem Miteinander. Nachdem erst einmal Ordnung in die Sache gekommen war, wurde es ebenso bunt wie rasant. Hetzte das Quintett eben noch in fiebriger Bebop-Nervosität durchs Repertoire, zauberte es gleich darauf reduzierte Momente, um dann wieder eruptiv auszubrechen oder in psychedelisch-rockige Fahrwasser à la Pink Floyd abzudriften. Kühn, der das Spiel neben Parisien (Sopransaxofon) teilweise dominierte und die junge Rhythmusgruppe zu Höchstleistungen antrieb, steuerte etliche hochkarätige Kompositionen bei. Und Gitarrist Manu Codija pflegte zwar über weite Strecken einen arg beliebigen klinischen Fusionsound, gab dem Ganzen aber wichtige emotionale Impulse. So wurde es tatsächlich die erhoffte Sternstunde: symbiotisch, expressiv, dicht und mitreißend.

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