Interview mit Norbert Scheuer, der am Mittwoch in Saarbrücken liest. „Ich will nichts Überflüssiges schreiben“

Saarbrücken · Der Schriftsteller über sein Buch „Winterbieten“, die Arbeit neben dem Schreiben und seine geliebte Eifel. Am Mittwoch liest er in Saarbrücken.

 Schriftsteller Norbert Scheuer auf einer Wiese in seiner Heimat, der Eifel.

Schriftsteller Norbert Scheuer auf einer Wiese in seiner Heimat, der Eifel.

Foto: Elvira Scheuer

Die Eifel ist das Zentrum seines Lebens und seines Schreibens. Norbert Scheuer (67) erzählt in Romanen wie „Die Sprache der Vögel“ oder „Kall, Eifel“ vom Großen im Kleinen. In seinem jüngsten Roman „Winterbienen“, der für den Deutschen Buchpreis nominiert war, geht es um den Imker Egidius Arimond, der 1944 in präparierten Bienenstöcken jüdische Flüchtlinge über die Grenze nach Belgien bringt. Am Mittwoch liest Norbert Scheuer aus dem hochgelobten Roman in Saarbrücken, wir haben mit ihm vorab gesprochen.

Herr Scheuer, Ihr Roman „Winterbienen“ war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Vielleicht eine etwas flache Frage: Wie fühlt es sich an, nominiert zu sein – und dann den Buchpreis nicht zu bekommen?

SCHEUER So flach ist die Frage nicht, denn das Ganze ist psychologisch ja etwas kompliziert und zieht sich zwei, drei Monate hin. Ganz am Anfang ist man noch gelassen, aber wie der Mensch so ist: Wenn man auf der Longlist steht, zittert man, ob man auf die Shortlist kommt. Und wenn man dann auf der Shortlist ist, will man den Preis gewinnen. Aber man muss das Ganze schon etwas reflektiert sehen. Es gibt so viele gute Bücher, wie es Autoren gibt. Wer da zum besten gekürt wird, hängt sehr vom Geschmack der Jury ab.

Sie konnten es also verschmerzen, den Preis nicht bekommen zu haben?

SCHEUER Ich war sogar ein bisschen froh. Hätte ich den Preis bekommen, hätte ich auf der Buchmesse bleiben müssen, hätte dann fünf Tage lang sieben oder acht Termine täglich gehabt und wäre dann ohne Pause direkt weiter auf meine Lesereise, wo ich an jedem Tag mindestens eine Lesung habe, immer an einem anderen Ort. Aber so konnte ich nochmal zwei Tage nach Hause. Vor der  Preisvergabe hatte ich starke Rückenschmerzen – als die Mitteilung des Buchpreises kam, waren die weg.

Das klingt, als hätten Sie ganz gerne Ihre Ruhe.

SCHEUER Wenn man den Buchpreis gewinnt, ist man danach mindestens ein bis anderthalb Jahre nur mit Lesungen unterwegs – ich weiß nicht, ob ich das will. Ich bin ja nicht mehr ganz jung, in meinem Alter will ich nicht so lange durch die Gegend fahren und nicht zum Schreiben kommen.

Sie haben bis 2017 als Systemprogrammierer bei der Deutschen Telekom gearbeitet. Als Ausgleich zum Schreiben? Oder aus finanzieller Notwendigkeit?

SCHEUER Natürlich hat das auch finanzielle Gründe. Man wird bei der Telekom viel besser bezahlt als für das Schreiben von Büchern. Selbst die Spitzenautoren haben Probleme, sich über zwei, drei Jahre, in denen sie an einem Buch arbeiten, zu finanzieren. In meiner Art der Literatur bin ich seit ein paar Jahren, was den kommerziellen Erfolg angeht, im oberen Drittel – aber damit kann man schwerlich eine Familie ernähren, mit zwei Kindern im Studium, es sei denn, die Frau arbeitet. Die Telekom war die viel bessere Lösung – ich konnte mich in dieser Zeit aus dem Literaturbetrieb ausklinken, habe nicht immerzu an das Schreiben gedacht und hatte im Job Anerkennung.

Und ein Stück Freiheit.

SCHEUER Sicher. Man muss ja ohnehin irgendeinen Job neben dem Schreiben annehmen, weil man sonst nicht über die Runden kommt – Kritiken schreiben etwa. Das lenkt dann immer wieder vom Romanschreiben ab. So konnte ich mich bei der Literatur auf das konzentrieren, was ich gerne mache. Und, das ist das Wichtigste überhaupt: So konnte ich dieses Wahnsinnsprojekt durchziehen, nur über ein kleines Eifelstädtchen zu schreiben. Hätte ich nur von der Literatur leben müssen, hätte ich mir irgendwann überlegen müssen, etwas anderes schreiben, einfach, um mehr Erfolg zu haben. Aber so musste ich keinen großen kommerziellen Erfolg haben, solange mein Verlag mir treu blieb, was er getan hat, weil meine Bücher gut rezensiert wurden. Das ist für einen Verlag ja auch wichtig.

Ihr Werk dreht sich konsequent um den Ort Kall in der Eifel, wo Sie leben. Was wäre passiert, wenn Sie etwa in Hamburg zur Welt gekommen und dort geblieben wären? Wären Sie dann ein Chronist der Hansestadt geworden?

SCHEUER Wer weiß, ob ich dann überhaupt geschrieben hätte.  Das hängt ja von so vielen Faktoren  ab. Aber vielleicht hätte ich ein paar Bücher über einen Stadtteil von Hamburg geschrieben. Diesen immer wieder postulierten Unterschied zwischen Stadt- und Provinzroman gibt es ja ohnehin nicht.

Sie haben einen bunten Bildungsweg hinter sich – eine Elektrikerlehre, ein abgeschlossenes Physikstudium, einen Magister in Philosophie. Hat die Germanistik Sie als Autor weniger interessiert?

SCHEUER Germanistik wäre für mich nie in Frage gekommen. Nach dem Physikstudium habe ich ja Philosophie studiert und war da immer in der Nähe des germanistischen Seminars. Zu Vorlesungen dort bin ich nie gegangen, weil ich das Gefühl hatte, dass man danach so schreibt wie die Leute, die da behandelt werden – ob nun Thomas Mann oder Goethe. Ich wollte beim Schreiben meiner Geschichten völlig unberührt bleiben von den Literaturgöttern. Deshalb habe ich Germanistik gemieden, das war wie ein natürlicher Instinkt, und lieber gelesen.

Hat die Arbeit als Elektriker Spuren hinterlassen bei Ihrem Schreiben?

SCHEUER Ich habe vier, fünf Jahre als Elektriker gearbeitet  – da begreift man, dass das Leben aus mindestens acht Stunden Arbeit am Tag besteht. Deswegen gehen die Hauptfiguren meiner Romane einem Beruf nach. Es gibt ja viele Literaten, die von Figuren schreiben, die nur über die Welt nachdenken oder sie beobachten. Ich habe da einen anderen Ansatz. Meine Figuren machen etwas, was sie erfüllt.

Und welche Wirkung hatte Ihr Philosophiestudium?

SCHEUER Das hat beim Schreiben eigentlich nur bewirkt, dass ich nicht allzu viele philosophische Überlegungen in meine Texte einfließen lasse, weil ich davon ausgehe, dass die sowieso jeder kennt, der Bücher liest.

Die klare, reduzierte Sprache Ihrer Romane wird immer wieder gelobt. Haben Sie Angst vor einer prätentiösen Sprache?

SCHEUER Ich will nichts Überflüssiges schreiben. Ich will etwas so genau beschreiben wie möglich, mit so wenigen Wörtern wie möglich.

Funktioniert das schon beim ersten Schreiben – oder dampfen Sie den Text ein, bis es passt?

SCHEUER Beim ersten Schreiben gelingt mir das nicht. Die Nachbearbeitung, das Rausstreichen von Überflüssigem, ist sehr wichtig.

Der Anstoß zu Ihrem Roman „Winterbienen“ war eher zufällig, wie Sie im Nachwort erklären.

SCHEUER Ja, das war ganz eigentümlich. Wenn man einen Roman fertig hat, weiß man ja erstmal nicht, was man jetzt machen soll. Durch Zufall fiel mir ein Tagebucheintrag  von einem in Kall lebenden Imker in die Hände, aus dem letzten Kriegsmonat: „Heute morgen wieder rausgegangen, die Flugzeuge“ – also Bomber - „flogen über den Ort, und meine Bienen flogen aus.“ Als ich diesen Satz gelesen habe, war für mich klar: Das ist der Roman. Diese Kombination zwischen Krieg und den friedlichen Bienen gab den Rahmen des Romans vor. Der Zeitrahmen der Handlung war auch klar: ein sogenanntes Bienenjahr, von Frühjahr bis Winter. Diese Fluchthelfer gab es ja tatsächlich: Bauern haben in den letzten Kriegsjahren jüdische Flüchtlinge gegen Geld zur belgischen Grenze gebracht.

Warum haben Sie die Form der Tagebucheinträge für Ihren Roman gewählt?

SCHEUER Weil ich nicht moralisch wertend schreiben wollte. Das geschieht oft und gefällt mir nicht. Wenn man in der Ich-Form oder als allwissender  Erzähler über das „Dritte Reich“ schreibt, ist man immer gezwungen, bei etwas Grausamen eine Reflexionsebene mit einzubinden, um zu betonen, wie schrecklich das Ganze ist. Die Helfer haben ja 200, 300 Reichsmark für eine Flucht verlangt und auch bekommen. Dagegen kann man sich nun moralisch verwehren, darf aber nicht vergessen, dass sie ihr Leben riskiert haben. Sie mussten irgendwie überleben und bekamen durch das Geld die Möglichkeit dazu. Aber ich bewerte das nicht, sondern sage es nur. Ich wollte die Hauptfigur Egidius Arimond und die Leute des Orts so darstellen, wie sie zu dieser Zeit gedacht und gefühlt haben und wie sich verhalten haben – ohne das zu bewerten. Das muss der Leser selbst tun.

 Winterbienen

Winterbienen

Foto: C.H.Beck

Norbert Scheuer: Winterbienen.
C.H. Beck, 318 Seiten, 22 Euro.
Lesung: Mittwoch, 30. Oktober, 19 Uhr, Festsaal im Schloss in Saarbrücken.
Karten: Buchhandlung Raueiser am Sankt Johanner Markt, www.raueiser.de, Tel. (06 81)  37 91 80.

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