Interview mit Autor Christian Duda „Die Wirklichkeit bietet genügend Horror“

Saarbrücken · Der Autor kommt zur Saarbrücker Jugendbuchmesse und stellt sein neues Buch „Milchgesicht“ vor. Es geht darin um Ausgrenzung.

  Fiese Dörfler in idyllischer Landschaft: Die tragische Geschichte von „Milchgesicht“ spielt in der Steiermark.

Fiese Dörfler in idyllischer Landschaft: Die tragische Geschichte von „Milchgesicht“ spielt in der Steiermark.

Foto: Getty Images/iStockphoto/Michael Nosek

Sepp kommt Anfang der 1950er Jahre in der Arbeitersiedlung Hönigsberg in der österreichischen Steiermark auf die Welt. Er leidet unter Albinismus: viel zu helle Haut, hellblonde Haare, entzündete Augen. „Milchgesicht“ wird der Junge, der zu einer ledigen Tante abgeschoben wird, abfällig genannt. So heißt auch das Jugendbuch von Christian Duda, das er von diesem Mittwoch an auf der Kinder- und Jugendbuchmesse in Saarbrücken vorstellen wird. Darin erzählt er die anrührende, erschütternde, brutale Geschichte von Sepp, eingebettet in die autobiografische Geschichte seiner eigenen Großmutter, bei der Duda als kleiner Junge in Hönigsberg lebte. Der Autor schont seine junge Leserschaft nicht. Sepp wird nicht nur übelst gemobbt, er hat auch nie eine echte Chance. Und wäre das nicht schon genug, führt uns Duda in die rücksichtslose, streng normierte Gesellschaftsordnung einer Gemeinde in der Nachkriegszeit ein, in der Frauen sich unterzuordnen haben, in der vergewaltigt und abgetrieben wird und Gewalt und Lieblosigkeit an der Tagesordnung sind. Einziger Hoffnungsschimmer ist die liebevolle Tante, die Sepp eine aufopfernde Mutter wird. Dass strukturelle Diskriminierung und Ausgrenzung nach wie vor an vielen Stellen erfahrbar sind, macht das Buch zu einer relevanten Lektüre, mit der junge Menschen aber nicht alleine bleiben sollten. Wir haben mit Christian Duda über sein Buch und die Frage, was jungen Lesern ab wann als Lektüre zumutbar ist, gesprochen.

Wie kam Ihnen die Idee zu dem Buch, das ja autobiografisch gefärbt ist?

DUDA Der Auslöser war der Tod meiner Großmutter. Ich wusste, dass es all die strengen Sitten, mit denen sie aufgewachsen ist, nicht mehr lange geben wird. Darüber wollte ich schreiben, wusste aber, dass ich Sentimentalität, Gefühl und Pathos nur schwer in den Griff kriegen würde. Deswegen bin ich zum Genre der Gruselgeschichte gekommen, weil es die Sentimentalität verträgt und gleichzeitig ins Brutale und Abseitige abrutscht.

Es gab Sepp, die Hauptfigur, also wirklich?

DUDA Ja, es ist die Figur an der Tankstelle am Ende des Buches. Ich bin damals aus allen Wolken gefallen, als ich erfahren habe, dass der alte Mann an der Tankstelle, über den wir etwas gespöttelt hatten, ein direkter Verwandter ist.

Sie wählen eine sehr erwachsene Sprache, lassen Geschichtliches stichwortartig einfließen, zum Beispiel über die österreichische Geschichte kurz vor dem Ersten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit der 50er/60er Jahre. Das ist eine große Herausforderung für viele junge Leser...

DUDA Für mich ist wichtig, dass alles, was ich schreibe, zeitrelevant und heutig sein muss. Die Geschichte von Sepp erzählt von einer Kindheit in Österreich Mitte des 20. Jahrhunderts. Was da passiert an Mobbing und Ausgrenzung ist heute brandaktuell.

Aber was ist zumutbar im Jugendbuch? Gibt es eine Diskrepanz zwischen dem Lesen über und dem Handy-Konsum von drastischen, gewalttätigen Szenen oder Sex? Was bleibt da hängen?

DUDA Das ist eine strategische Frage, die mich nicht interessiert. Ich will nicht psychologisch argumentieren und sagen, die Pornoindustrie hat beispielsweise meinen Sohn schon schockiert, jetzt darf ich das auch. Man muss sehen, was 13-, 14-Jährige konsumieren. Da liege ich im Dauerclinch mit dem Buchwesen. Nicht wenige gucken mit elf Jahren Pornos. Das sind einfach die Leser, die ich habe. Und die sind sehr routiniert im Akzeptieren von Dingen, die sie nicht gleich verstehen.

Der Roman ist sehr dicht und durchaus schwere Kost. Auf knapp 160 Seiten geht es um Mobbing und Ausgrenzung, aber auch um Vergewaltigung und Abtreibung, Selbstmord und sogar um Sodomie. Die Frauen in ihrem Buch haben es  allesamt schwer...

DUDA Das sind die Dinge, die ich in Hönigsberg verorte. Selbstmord gehört zu dem Ort. Und auch die Abtreibungsgeschichte ist wahr.

„Milchgesicht“ ist ein Buch, über das man reden muss, weil es verstörend ist...

DUDA Meine Intention war, dass ich einen Stephen King schreiben wollte, aber ohne den okkulten Quatsch, den ich lächerlich finde. Denn die Wirklichkeit hat genügend Horror, wenn ich das Übersinnliche runterbreche auf so ein Dorf wie Hönigsberg.

Würden Sie denn für ein solches Buch eine Altersgrenze setzen?

DUDA Nein. Das nützt bei Kindern ohnehin nichts. Die Diskussion um Altersfreigaben ist unehrlich. Sie ist ein ideologisches Trümmerfeld. Ich selbst komme aus einer Familie, in der es hoch herging, auch in Bezug auf Gewalt. Ich sehe heute in den Familien aber noch viel mehr Gewalt, es ist oft eine übersetzte Gewalt. Zum Beispiel, wenn geschiedene Väter ihre Kinder wenn sie Pech haben nur einmal im Monat sehen dürfen. Auf der anderen Seite brutalisieren wir die Existenz alleinerziehender Frauen, weil sie oft finanziell so hohe Lasten tragen müssen. Wenn ich in einem Kinderbuch zum Beispiel schreibe, dass eine Mutter jeden Abend weint, bevor sie ins Bett geht, wird das womöglich als für kleinere Kinder zu verstörend kritisiert. Dabei habe ich das aber von diesen Kindern!

Sepps Tante wird am Ende als „Engelsmacherin“ für ihre Abtreibungen bestraft und muss Sepp allein zurücklassen. An seiner Einsamkeit geht er zu Grunde...

DUDA Das ist auch eine heutige Geschichte. Bis heute ist es grausam, wie der Gesetzgeber umgeht mit dem Thema. Ärztinnen, die Abtreibungen vornehmen, werden immer noch stigmatisiert. Der Frauenhass, der sich darin spiegelt, ist über die Zeiten hinweg austauschbar.

Das Frauenthema zieht sich durch das ganze Buch...

DUDA Wir sind alle von Frauen erzogen. Ich als Autor muss aber aufpassen, dass ich Frauenleben nicht zu patriarchalisch beschreibe.

  Autor und Regisseur Christian Duda heißt eigentlich Christian Achmed Gad Elkarim. Er war Österreicher, dann Ägypter und ist jetzt Deutscher.

Autor und Regisseur Christian Duda heißt eigentlich Christian Achmed Gad Elkarim. Er war Österreicher, dann Ägypter und ist jetzt Deutscher.

Foto: Buchmesse/York Wegerhoff

Christian Duda: Milchgesicht. Beltz, 160 Seiten, 13,95 Euro.

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