Neuer Erzählband Ingrid Noll zwischen Hurenmördern und Enkelliebe

Zürich · „In Liebe Dein Karl“ assoziiert Romantik, der Name Ingrid Noll hübsch verpackte Verbrechen. Nun, der Leser bekommt diesmal beides – und noch viel mehr: auch Autobiografisches.

 Die Schriftstellerin Ingrid Noll    

Die Schriftstellerin Ingrid Noll  

Foto: dpa/Uwe Anspach

In dem jetzt erschienenen Erzählband „In Liebe Dein Karl“ offenbart die erfolgreiche 84-jährige Autorin Seiten von sich, die möglicherweise nicht jedem Fan bekannt sind, die man aber durchaus erahnen kann. In jeder ihrer Geschichten, selbst der rabenschwärzesten, schimmert ein Wesenszug der Ingrid Noll stets durch: ihr tiefes Verständnis für menschliche Schwächen, gepaart mit Lebenshunger und -mut, arrangiert mit feinem, oft subtilem Humor.

Die 31, zum Teil bisher unveröffentlichten Erzählungen in fünf Rubriken sind großartiger Lesestoff, der nicht nur mit Nolls Kindheit in China bekannt macht, sondern einen uneitlen Blick auf ihre Herkunft, Wurzeln und Entwicklung frei gibt und von einem erfüllten und hoffentlich noch lange währenden Leben berichtet. Letzteres könnte ihr in die Wiege gelegt worden sein, denn immerhin wurde ihre Mutter 106 Jahre alt. Aber auch wenn das eigene um einiges kürzer sein sollte, hat Noll genaue Vorstellungen von ihrem Ende: „Mein letzter Tag“ im Kapitel „Erinnerungen und Notizen“.

Das literarische Sammelsurium beginnt aber mit Mini-Krimis, also dem Stoff, für den die preisgekrönte Autorin den meisten Lesern bekannt sein dürfte – zusammengefasst unter „Diebe und Triebe“. Ein unterhaltsamer Abstecher in die Abgründe der menschlichen Seele. Der Leser schließt Bekanntschaft mit einer armen Irren, einem Hurenmörder, einer betrogenen Ehefrau und einer diebischen Hotelangestellten. Mörderisch vergnüglich lesen sich auch manche Episoden in „Tierische Täter“, wo Hase und Igel, Hund und Katze oder sonstiges Getier für Nolls ureigenste Erlebnisse oder Fantasieprodukte herhalten müssen.

Die Titel gebende Kurzgeschichte findet sich in „Lust und Last der Liebe“ wieder, wobei der in Liebe entbrannte Karl längst tot ist, aber einer finanziell klammen Familie noch ein schönes Weihnachtsfest beschert. In „Liebe auf den ersten Schrei“ sinniert Noll über uneigennützige (und grenzenlose) Zuneigung, die sich vor allem dann zeigt, wenn man kleine Nervensägen, sprich Enkel, auch dann geduldig erträgt, wenn man doch lieber entspannen möchte.

Einen belletristischen Mix findet man in der Rubrik „Mörderische Mythen“: „Das weiße Hemd der Hure“ versetzt den Leser in die Bohème-Szenerie des alten Italiens, wo ein ebenso begnadeter wie skrupelloser Künstler Prostituierte für seine Zwecke missbraucht. Missbrauch ist auch Nolls Tenor in ihrer Interpretation von Goethes „Erlkönig“.

Am rührendsten aber gibt sich Noll in ihrem Memento an die Eltern. Der Vater war „Wie ein wärmender Ofen“, die Mutter eine kluge, weitsichtige, aus kindlicher Sicht aber oft zu rationale Frau. Ihr setzt sie in ihrem Brief „Liebe Mutter“ ein wunderbares Denkmal, in dem sie sie nicht nur mit dem weichzeichnenden Stift der Erinnerung malt, sondern ihr voller Verständnis und überbordender Zuneigung Danke sagt.

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