Buchkritik Aus dem Osten was Neues: Lutz Seilers Roman „Stern 111“

Leipzig · Lutz Seiler nimmt die Leser in seinem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichneten Roman „Stern 111“ mit nach Berlin zur Zeit des Mauerfalls.

Carl Bischoff (26) aus Gera steht plötzlich ohne Eltern da. Inge und Walter Bischoff gehen in den Westen. Sie lassen Carl 500 Mark, das Auto der sowjetischen Marke Shiguli und den Auftrag da, die Nachhut der Kleinfamilie in der zerfallenden DDR zu bilden. Carl ist gelernter Maurer, träumt aber davon, ein Dichter zu werden. Anstatt die elterliche Wohnung in Gera zu hüten, geht er nach Berlin.

Wie schon in seinem Debüt „Kruso“, das 2014 mit dem Deutschen Buchpreis in Frankfurt ausgezeichnet wurde, schafft es Seiler auch in „Stern 111“, die besondere Stimmung der Zeit einzufangen. Eindrücklich beschreibt er das bröckelnde Ost-Berlin, in dem die alten Vorschriften nicht mehr gelten und neue noch nicht in Sicht sind. Es sind mehrere Stränge und Lebensgeschichten, die Seiler miteinander verwebt. Der Autor beleuchtet auch eine Zeit, in der heute viele Erklärungen für die anscheinende Andersartigkeit des Ostens suchen. Er schreibt von Entwurzelung und Suche: „Seltsam, wie eine Himmelsrichtung im Grund alles ausdrücken konnte, die ganze Geschichte. Im Osten. Im Westen.“ Aber Seiler schreibt auch von Ankommen und Finden. In einem Epilog lässt er Carl, der biografische Ähnlichkeit mit ihm selbst aufweist, viele Jahre später auf die Grenzen der Freiheit zurückblicken.

Lutz Seiler: „Stern 111“, Suhrkamp, 24 Euro.

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