Neue Bücher Die Angst vor dunklen Achselhöhlen
Saarbrücken · Nicht von ungefähr ist David Foster Wallace sein Vorbild: Clemens J. Setz legt mit „Der Trost runder Dinge“ seinen zweiten Band mit Erzählungen vor, in dem der Österreicher einmal mehr zeigt, dass er ein Meister der kurzen Form ist.
Angenehm ist „das Gefühl, ein Problem zu sein, das die Welt zu lösen versuchte“, vergebens natürlich. Der österreichische Autor Clemens J. Setz hat Erfahrung damit. Geschichten sind „nicht dazu, unsere Wirklichkeitsdrüsen zu massieren“, und so erfindet er rastlos immer neue Grotesken mit empfindsam schnurrenden Maschinchen, aberwitzigen Verschwörungstheorien und unheimlich possierlichen Tourette-Zuständen. Während die Welt noch den nerdig-verschrobenen Humor des gelernten Mathematikers aufzulösen sucht, ist der immer schon einen Schritt weiter. Gerade eben hat Setz einen tausendseitigen Roman über „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ hingelegt, da verblüfft er mit dem Vexier-Selfie „Bot. Gespräch ohne Autor“ und seinem (im Stuttgarter Kammertheater uraufgeführten) Putzfrauenkunst-Stück „Abweichungen“, das schon für den Mülheimer Theaterpreis nominiert wurde. Das Wunderkind Setz kann alles, am besten aber beherrscht er wohl doch die kurze Form.
Seine Figuren sind anderen und sich selbst ein Problem, aber sie kommen gut damit zurecht. Sie leiden unter multiplen Zwangsneurosen, Paranoia und Panikattacken, aber eine so exzentrische Angst wie etwa die vor Morsezeichen aus dunklen Achselhöhlen hat auf den ersten Blick wenig Bedrohliches. Und auch die Angstbewältigungsstrategien wirken eigentlich wenig erfolgversprechend: Boxkämpfe im Fernsehen anschauen, Känguruschnauzen befühlen, Geld verbrennen, Nonsens-Sätze bilden. Setz hat ein feines Gespür für Sonderlinge und Außenseiter, für Diskriminierung, Ausgrenzung und Einsamkeit, aber er fordert nicht Empathie und Moral ein, sondern platziert das Unbegreifliche lieber beiläufig in surrealen Settings und „unspielbaren“ Computerspiel-Charakteren. In „Das Schulfoto“ verwahrt sich ein besorgter Vater höflich bei der Direktorin dagegen, dass ein offenbar schwer behinderter Mitschüler auf dem Klassenfoto erscheint: Daniel, wie das „Ding“ in seinem ominösen Gestell heißt, bereite Schülern und Eltern Alpträume. Der Einwand, man könne doch mit Daniel immerhin interagieren, überzeugt Herrn Preissner nicht: „Das tut ein Hydrant auch“.
So liegen in Setz‘ Erzählungen Komik und Tragik, rumorendes Unheil und harmloses Kinderspiel immer nah beieinander. Die Wohnung der blinden Anja ist über und über mit säuischen Vokabeln verschmiert, von denen das Mädchen nichts weiß („Otter Otter Otter“). Eine entlassene Schulkrankenschwester entführt einen kleinen Jungen und textet ihn mit ihrem Psychoquark zu. Ein Obdachloser verschluckt zum Frühstück Angelhaken. Zwei pubertierende Schwestern rangeln um die Fernbedienung für die seltsame Weihnachtsbeleuchtung des Nachbarn. Ein Junge gibt sich am Telefon als vernachlässigtes Kind einer Schlampenmutter aus. In „Das alte Haus“ erschleicht sich ein mit einem Elektroschocker bewaffneter Mann unter dem Vorwand, sein Jugendhaus wiedersehen zu wollen, Zutritt zu einer fremden Wohnung, aber es passiert nichts. „Durch die dicke Eisschicht der Verstörung blitzt so etwas wie federleichter Humor“, aber dieser Humor ist selber wieder gestört, eine qualvolle „Überwitzelung“ von Fluchtreflexen und Alltagskatastrophen. In „Geteiltes Leid“ versucht ein alleinerziehender Vater seinen Kindern behutsam seine Angststörung zu vermitteln. Er will sie nicht beunruhigen, aber er hätte gern jemanden, der sein Leid mit ihm teilt. Herzrasen, Gedankenflucht, Panikattacken: So lange schon vermisst Herr Zweigl „das vertraute Hintergrundglühen der Gegenstände, das innerliche Mitnicken mit allem Gehörten, das Zuhausesein zwischen den eigenen Schultern“, kurz: den Trost runder Sachen.
Alle 20 Erzählungen könnten böse ausgehen, aber Setz verschont seine Leser gnädig und dämpft auch seine eigenen Psychomacken auf eine herzerwärmende Zimmertemperatur herunter. Er kennt, wie sein Vorbild David Foster Wallace, Schlaflosigkeit, Ängste, Depressionen, die „inneren Windmühlen“, die ihn mit endlosen Grübeleien und aberwitzigen Wahnideen quälen. Aber diesmal verzichtet Setz weitgehend auf literarische Zitatgirlanden und nerviges Gewitzel und taucht in den Alltag ein. Am Ende findet sich immer eine Lösung, eckig oder tröstlich rund wie Auberginen, Obst und sprechende Achselhöhlen. Der Alltag ist ein „mulmiger“ Abenteuerspielplatz. Setz bleibt das verspielte, “unrettbar unreife“ Kind, und das ist auch gut so: „Es wäre schön, wenn die Jugend tatsächlich in der Zukunft auf uns warten würde. Besonders in Zeiten großer Bedrängnis, nach endlosen in kniender Haltung neben Heizkörpern verbrachten Nächten, nach Tagen voller Staub aus Tschernobyl.“ Ein beglückendes Buch.
Clemens J. Setz: Der Trost runder Dinge. Erzählungen. Suhrkamp. 318 Seiten, 24 €.