„Guesswork“, das neue Album von Lloyd Cole „I am a complicated motherfucker“

Saarbrücken · Lloyd Cole, der britische Pop-Feingeist mit Lust am Experiment, legt ein famoses Album vor: zwischen Balladen-Schönheit und Keyboard-Gefiepe.

 Glücklich grinsende Popstars gibt es ja genug in der Welt – Lloyd Cole hält mimisch tapfer dagegen.

Glücklich grinsende Popstars gibt es ja genug in der Welt – Lloyd Cole hält mimisch tapfer dagegen.

Foto: Paul Shoul/PAUL SHOUL

Ganz weg war er ja nie. Aber Lloyd Cole ging es eben wie vielen anderen Musikern, deren Karriere kommerziell langsam erlahmt; die Hits werden kleiner und bleiben schließlich ganz aus, die Unterstützung der Plattenfirmen schrumpft. Keine einfachen Zeiten für den Briten mit dem fein gedrechselten Gitarrenpop, der im England  der 1980er ein veritabler Popstar war: Für das  Teenagermagazin Smash Hits (so bunt wie die Bravo, aber cleverer und ohne Dr. Sommer) war er ebenso ein Thema wie für den NME, den altehrwürdigen New Musical Express, der damals im Alleingang entschied, was als hip galt oder als uncool.

 Cole war cool, ein Mann für jede Jahreszeit sozusagen, ebenso eine Alternative zum bunten Synthiepop wie zu den ihm musikalisch näherstehenden Singer/Songwritern, die aber bierernst das Gütesiegel des „Authentischen“ (was immer das im Pop auch sein mag) vor sich hertrugen. Das war nichts für Cole. Er war kein Mann der Karohemden, sondern zog sich gerne schwarze Existenzialisten-Rollis über und wandelte beim Texten auf dem Grat zwischen Witz und Prätention. „Read Norman Mailer – or get a new tailor“ ist so einer seiner klassischen Lebensweisheits-Textzeilen. Die kleidete er in herzerwärmende Popmelodien – gleich sein Debüt-Album „Rattlesnakes“ von 1984 avancierte zu einem Klassiker, sein zartes Liebeslied „2CV“ (was bei Cole wie „deu schivooo“ klang) war eine Perle purer Pop-Perfektion.

Nur – gleich mit dem ersten Album einen Meilenstein gemeißelt zu haben, legt den nächsten Karriereschritten eine gewisse Bürde auf. Cole musizierte weiter, trennte sich irgendwann von seiner Band und ging nach New York, ließ sich zeitweise die Haare wachsen und gab sich vorübergehend weniger als Feingeist denn als Rocker (der NME witzelte damals: „Cole ist jetzt so hartgesotten, dass er sein Bier sogar manchmal aus der Flasche trinkt“). Gute Alben legte er weiterhin vor (besonders das streicherumflorte „Don’t get weird on me Babe“) – aber manchmal kommt einem eben das große Publikum abhanden, ohne dass es dafür einen tieferen Grund gäbe.

Cole hat zuletzt das Beste draus gemacht: kleine feine Alben bei kleinen feinen Firmen. Dass er in einer Nische mit einem überschaubaren, aber treuen Publikum operiert, hat ihn immer wieder auch zu Experimenten ermuntert – mal legte er ein gesangloses Elektronik-Album vor („Plastic Wood“), dann nahm er ein instrumentales Album mit Elektro-Krautrockpionier Hans-Joachim Roedelius auf („Selected Studies Vol. 1“), wobei es zu Vol. 2 bisher nicht gekommen ist.

„Guesswork“ heißt nun das neue Album, eingespielt in kleiner Besetzung im Dachgeschoss bei den Coles in den USA, ein intim und heimelig klingendes Album, mit dem Cole durchaus überrascht – lange gingen seine Balladen nicht mehr so ans Herz, lange klang seine Stimme nicht mehr so klar und ungekünstelt. Und noch nie hat er in dieser Form Keyboardklänge mit deftigem 80er-Jahre-Retro-Aroma in seine Musik hineingearbeitet.

Der Auftakt „The Over Under“ bietet noch ganz lässige akutische Balladenpracht, die sich bei Cole ganz langsam ausbreitet. Zum Niederknien ist das - danach steht man aber zügig wieder auf, um sich ein bisschen zu wundern. „Night Sweats“ beginnt mit Synthie-Rhythmen und Gepiepse, als liefe hier ein altes Album von OMD oder Erasure. Vieleicht ist Cole ja ein Retro-Ironiker, vielleicht gefallen ihm einfach diese Klänge seiner Jugend, was passend wäre, dreht sich das Album des 58-Jährigen doch auch ums Älterwerden, um das Bilanzieren und die überschrittene Lebensmitte. Jahre, in denen man als Mensch nicht unbedingt einfacher wird, was Cole in eine entwaffnende Textzeile gießt: „I’m a complicated motherfucker.“ Selbsterkenntnis ist ja eine gute Sache. An anderer Stelle singt er, er sein ein kalter Fisch, und das sei ja niemandes Lieblingsessen.

Akustik-Pop und Elektronik halten sich hier über weite Strecken elegant die Waage, bisweilen setzt Cole beides sehr reduziert ein und schafft so eine hohe Intensität: „Remains“ etwa geht mit seiner klaren Kargheit direkt ans Herz. An anderer Stelle klingt Cole, als wolle er Leonard Cohen die Ehre erweisen („When I came down from the Mountain“) oder aber ihn parodieren. Da verliert das Album kurz seine Spannung, bevor es mit einem der schönsten Stücke von Coles gesamter Karriere endet. „The Loudness Wars“, eine Ballade des zur Ruhe Kommens, des Beruhigens, der Versöhnung. Herzerwärmend.

 Lloyd Coles Album "Guesswork".

Lloyd Coles Album "Guesswork".

Foto: Earmusic

Lloyd Cole: Guesswork (Earmusic). Konzerte: Cole tritt im März 2020 in Stuttgart, Bonn, Berlin und Hamburg auf. Infos: www.lloydcole.com

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