Große Gesten, lange Zähne, guter Jazz

Saarbrücken · Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu“, live untermalt von Jazz – funktioniert das? Das Trio Ohr ist das Wagnis in der Saarbrücker Hochschule für Musik eingegangen.

Als der Stummfilm "Nosferatu", die wohl älteste filmische Darstellung des Dracula-Mythos', 1922 seine Premiere feierte, war ein Sinfonieorchester nötig, um die wagnerianisch wuchernde Begleitmusik von Hans Erdmann wiederzugeben. Beim Homburger Kinosommer 2016 hingegen improvisierte das Trio OHR der Hochschule für Musik Saar (HfM) für den Streifen eine Jazzfassung: mit Oliver Strauch (Drums), Rudolf P. Schaaf (Bass) und Juan Pablo Tobon (Gitarre). Geht das? Kann der wache, rhythmisch prägnante Charakter des Jazz die Düsterkeit eines Dracula-Filmes verstärken?

Zu überprüfen war das am Mittwoch in der HfM. Das Ergebnis: Diese Mischung aus Klang und Geräusch hat gerade den Darstellungsstil der Schauspieler, vor fast einem Jahrhundert am expressionistischen Theater Max Reinhardts entwickelt und heute doch recht antiquiert wirkend, wohltuend konterkariert. Die Klänge reichten von lärmendem Chaos über Entspannendes bei den Naturaufnahmen bis zu wisperndem Schaben, Kratzen, Zischen bei den angstvollen Szenen. So wurde auch vermieden, dass gerade bei der reichlich überzeichnet wirkenden Titelfigur mit Fledermausohren, vorstehenden Raffzähnen und Krallenfingern das Grausen in unbeabsichtigte Komik umschlug.

Dass diese Figur samt der sie begleitenden Rattenplage von der NS-Propaganda für Machwerke wie "Der ewige Jude" plagiiert wurde, musste man als ein schauerliches Kapitel deutscher Filmgeschichte verdrängen. Dann aber konnte man Schauspieler wie Alexander Granach als wahnsinnigen Häusermakler bewundern, die Ruhe der Naturbilder und das Idyll der Hansestadt Wismar vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg genießen. Und staunen, wie ein Jazztrio das alles verstärken kann.

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