Lyrik „Es tönt dein Licht aus allen Speichen“

Saarbrücken · „Besitzlos, den Schmetterling feiernd“ heißt die Sammlung von 100 Gedichten des saarländischen Dichters Johannes Kühn. Am Sonntag wird der wunderbar illustrierte Band auf dem Schaumberg vorgestellt.

 Johannes Kühn, mit in seinem Wohnort Hasborn eher unüblichem Indianerschmuck. Man beachte den Griff des Regenschirms.

Johannes Kühn, mit in seinem Wohnort Hasborn eher unüblichem Indianerschmuck. Man beachte den Griff des Regenschirms.

Was er in seinem Hölderlin-Gedicht über den größten Hymniker der deutschen Literatur schrieb, trifft auf ihn selbst zu: „Seine Sprache erhob sich / und war gleich dem Gesang / eines weisen Vogels, / der aus dem Kopfe des Gottes kam. / Du legst dich nicht zum Schlaf, / wenn ihr Klang beginnt.“ Erliegt man doch, seine Gedichte (die vielen guten unter den zahllos existierenden) lesend, Mal um Mal dem traumwandlerischen Ton Johannes Kühns. Wer solche Verse schreibt, muss ein großer Dichter sein: „Es tönt dein Licht aus allen Speichen“ (aus „Der Mond“) oder „Das Auge lief fort aus meinem Gesicht“ (aus „Kirschblüte“). Oder Strophen wie diese: „Nun flammt / die Sonnenblume allen vor als Sommerfahne. / Wer da ist zur Traurigkeit verdammt, / der komme, dass er mit den Blumen Himmel ahne.“ (aus „Der Garten“).

Es gibt wohl keinen größeren Meister des einfachen Wortes in der zeitgenössischen deutschsprachigen Lyrik. Einfachheit in dem Sinne, dass Kühns Gedichte – in freie Rhythmen gefasst und ein altmodisch anmutendes Vokabular hütend, das für ihren reinen Ton unerlässlich scheint – von bezwingender Schlichtheit und Natürlichkeit sind. Frei von stilistischer Effekthascherei, aller Bemühtheit enthoben und von einer beglückenden Resistenz gegenüber allem Mediengetöse. Sein Fernseher ist das Fenster, aus dem er schaut; sein Chatroom ist der Himmel; seine Uhr ist die Farbgebung des versinkenden Tages; sein Reiseziel ist die schaukelnde Hecke am Abend; seine Autobahn ist der Bachlauf; sein Flugzeug ist die Libelle, ist der Rabe.

Sein langjähriger Hanser-Verleger Michael Krüger hat über Johannes Kühn einmal gesagt, Kühn sei ein Dichter, „den man gern in der Jackentasche hat und dann zu verschiedenen Zeiten wieder hervorzieht; er ist nicht einer, den man so abhaken kann.“ Weshalb er sich auch weder als „der letzte Naturlyriker“ noch als „der letzte Regionalist des Saarlandes“ abhandeln lasse. „Das Etikett rutscht und fällt immer immer runter. Und etwas Besseres kann man gar nicht sagen über einen Dichter.“ Wahre Worte, deren unverminderte Gültigkeit ein neuer, bezaubernder Band mit Kühn-Gedichten aus einem halben Jahrhundert erweist, der unlängst unter dem Titel „Besitzlos, den Schmetterling feiernd“ erschienen ist und nächsten Sonntag bei einer „literarischen Dämmerstunde“ im „Himmelszelt“ auf dem Schaumberg vorgestellt wird.

Bezaubernd, weil er rund 100, größtenteils famose Kühn-Gedichte, die zwischen 1984 und 2014 publiziert worden sind, zu einer schmucken, bibliophilen Anthologie zusammenschnürt und dabei Kühns nach gängigen Motivgruppen geordnete Gedichte (ob nun „Jahreszeiten“, „Das Dorf“, „Im Gasthaus“ oder „Selbsterkundungen“ überschrieben) mit Zeichnungen und Aquarellen von Heinrich Popp korrespondieren, der Kühn Anfang der 2000er Jahre über mehrere Monate hinweg mit seinem Skizzenbuch begleitete. Popp, bis zu seiner Emeritierung 2009 Professor für Grundlagen der Visuellen Kommunikation an der Saarbrücker HBK und aus Sotzweiler stammend (einem Nachbarort von Kühns Heimat Hasborn), ist seit 50 Jahren mit dem Dichter bekannt. Die Paarung von Lyrik und bildender Kunst ist heikel – meist nimmt sie kein gutes Ende. Hier zum Glück schon, weil Popps Skizzen nie als Illustrationen von Kühn-Versen angelegt waren und daher gar nicht erst versuchen, Johannes Kühns fragile Bildmagie zu visualisieren.

Popps Strich trifft Kühn in seinen den Band durchziehenden Porträt-Blättern nicht nur bemerkenswert gut, er streut auch ein paar hintersinnige, komische Beigaben aus – etwa wenn er Kühn mal mit Indianerschmuck konterfeit oder ihn in einem schnittigen Doppelporträt auf ein Motorrad mit Beiwagen setzt. Ursprünglich, erzählt der Verleger des bibliophilen Bandes und gebürtige Hüttersdorfer Armin Sinnwell, habe er die Zeichnungen losgelöst von Kühns Gedichten in einem eigenen Faksimile-Band herausbringen wollen – Sinnwell leitete bis 2014 den (dann von Bertelsmann aufgekauften und später abgewickelten) Faksimile-Verlag Luzern. Später entschloss sich Sinnwell – dessen Deutsch­lehrer einst Kühns engster Förderer und Freund Benno Rech war, womit sich ein weiterer biografischer Kreis schließt – dann, das eigentlich Naheliegendere zu tun: eine Zusammenführung von Kühn und Popp in einem Band.

Schlichtweg beglückend ist das Wiederlesen der Gedichte Kühns, zumal Irmgard und Benno Rech – seit Jahrzehnten die Herausgeber seines Gesamtwerks – aus 13 Gedichtbänden eine (mit Abstrichen) gültige Auswahl herausdestilliert haben – mit drei bislang unveröffentlichten Gedichten als Zugabe. Über die ein oder andere Wahl mag man streiten (etwa über die allzu vielen Tiergedichte oder einige arg liebliche Dorfidyllen) und manches begnadete Gedicht vermissen; unterm Strich aber findet sich in „Besitzlos, den Schmetterling feiernd“ – eine all seinen inneren Reichtum anklingen lassende Selbstbeschreibung Kühns in einem einzigen Vers – unerhört viel Kühn at its best. Dass der heute 84-Jährige erst Ende der 1980er Jahre mit seinem ersten, in Michael Krügers Münchner Hanser Verlag erschienem Gedichtband „Ich Winkelgast“ endlich die ihm gebührende, längst überfällige Würdigung erfuhr, gehört zu den vielen Ungerechtigkeiten des Literaturbetriebs. Enthielten doch schon seine früheren Bücher, allen voran der 1984 in Karl August Schleidens Saarbrücker Verlag „Die Mitte“ herausgegebene Band „Salzgeschmack“, lyrische Juwelen voll zartester Sprachgewalt und einem psalmgleichen Evozieren des versverdichteten Naturbeseeltseins von Johannes Kühn.

In seinem Gedicht „Hasborn“, dem der titelgebende Vers dieser neuen Kühn-Retrospektive entnommen ist, nennt der Lyriker den Schmetterling seinen „Bruder über den grünen Wiesen“, dem er sich ungleich näher fühlt als den Bewohnern, denen „der sichre Besitz Gesichter verzerrt“. Die zwar „Denkmälern gleich“ zur Kirche gehen, in Wahrheit aber Falschheit großschreiben: „Hör, sie lästern dennoch, / schimpfen, lügen dennoch“. Dass die von Saartoto mitfinanzierte, in 1200er-Auflage erscheinende Werkschau, eingedenk Johannes Kühns zehnjährigem Verstummen in den 80er Jahren, eine Zweiteilung erfahren hat („vor dem großen Schweigen“ und „nach dem großen Schweigen“ sind die beiden Abteilungen benannt), wirft Fragen nach (Dis-)Kontinuitäten und Veränderungen im Werk Kühns auf. Im Vergleich zeigt sich, dass seine Gedichte mit den Jahren tendenziell eingängiger, glatter und heiterer geworden sind.

 Johannes Kühn, in aller Ruhe beim Rauchen.

Johannes Kühn, in aller Ruhe beim Rauchen.

Johannes Kühn: Besitzlos, den Schmetterling feiernd. Eine Retrospektive. Mit Zeichnungen von Heinrich Popp, hrsg. von Irmgard und Benno Rech.
Rubicon Verlag, 160 Seiten, 25 €.
Buchvorstellung am Sonntag (17 Uhr) im „Himmelszelt“ auf dem Schaumberg (Tholey). Neben Lesungen und kurzen Erläuterungen sind Gespräche des Moderators Klaus Brill mit Johannes Kühn, Heinrich Popp und Verleger Armin Sinnwell geplant. Der Eintritt ist frei.

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