1. Matinee der Deutschen Radio Philharmonie Die Kunst der abrupten Farbwechsel

Saarbrücken · Weniger dank Strauss denn dank Mahler: Fulminanter Saison-Auftakt der Deutschen Radiophilharmonie.

Am „ganz großen Klang-Rad“ wolle Chefdirigent Pietari Inkinen in der 1. Matinee der Deutschen Radio Philharmonie (DRP) „drehen“, ließ der SR zum Saisonstart verlauten. Das äußerst anspruchsvolle Programm ließ am Sonntag Großes erwarten. Doch wohin drehte Inkinen dieses „Rad“ bei den „Vier letzten Liedern“ von Richard Strauss? Das Opus posthumum des am Lebensende stehenden Meisters hüllt Gedichte von Hesse und Eichendorff in ein spätromantisches Gewand, in herbstliche Farben, in „rauschende“, aber auch meditative Musik.

Inkinen ging sie saftig an. Das ließ die Passagen in der unteren Oktave von Sopranistin Lise Lindstöm im wenig differenzierten Orchesterklang verschwinden, so dass sie sich mit ihrer „silver laser“-Stimme nur in den höheren Lagen durchsetzen konnte. Wärme vermisste man, Intimität auch. Die Texte waren im Programmheft nachzulesen. Lise Lindström kann sicherlich eine überzeugende Elektra, Salome, Brünhilde oder eine andere Hochdramatische sein. Strauss‘ „Vier letzte Lieder“ jedoch sind einfach, innerlich, seelenvoll und doch viel zu kompliziert, um sie breitflächig abzuhandeln.

In die richtige Richtung ging Inkinen dann bei Gustav Mahlers 5. Sinfonie. Die umfangreiche Partitur macht es Dirigenten bei der Interpretation vergleichbar leicht, denn eine Fülle von Hinweisen und Vorschriften verdeutlichen den Willen des Komponisten. Sie umzusetzen ist Pflicht. Dann muss Mahler auch keine Sorge haben, dass z.B. das Scherzo „nicht zu schnell“, sondern behäbig, à la Ländler genommen wird und so ein wenig zur Karikatur werden kann. Inkinen, dessen ästhetischer Dirigier-Gestus mehr Aufforderungen als Befehle impliziert, wartete mit einer Interpretation auf, die überzeugen konnte. Auch wenn da und dort ein wenig mehr Biss, mehr Aggressivität, mehr Kontrast denkbar gewesen wäre: Es wurde ein richtiger Mahler, in all seiner Zerrissenheit, seinen abrupten Farbwechseln, den morbiden folkloristischen Einschüben, den unerwarteten, unmotivierten Kontrasten. Inkinen gelang ein Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten Satz.

Wahre Streicher-Lust erlebte man im Adagietto mit seinen Harfentupfern. Eine herrliche Liebeserklärung an Alma Schindler, Mahlers spätere Ehefrau. Doch was wäre der begnadetste Dirigent ohne sein Orchester, das ihn nicht nur versteht, sondern ihm zuarbeitet, ihn inspiriert, seine Ideen verwirklicht. Und so gebührt eine Palme auch den Musikerinnen, Musikern und Solisten der DRP: Konzertmeister Ermit Abeshi, Solohornist Xiao-Ming Han, Harfenistin Marta Marinelli, Solo-Trompeter Robert Hofmann, die alle dazu beitrugen, dass der Beginn der neuen Konzertsaison zum beeindruckenden, fulminaten Konzerterlebnis wurde. Bravo.

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