Ausstellungen Ja, das genügt: Quadrat, Kreis und Raute

Frankfurt · Das Täuschungspotenzial seiner Bilder ist längst nicht deren einziger Reiz: Das Frankfurter Städel Museum zeigt eine grandiose Retrospektive des Op-Art-Begründers Victor Vasarely. Auf zwei Etagen wird sein Schaffen über sechs Jahrzehnte hinweg ausgebreitet.

 Vasarelys „Vega 200“ aus dem Jahr 1968, zwei mal zwei Meter groß.

Vasarelys „Vega 200“ aus dem Jahr 1968, zwei mal zwei Meter groß.

Seit seine zumeist aus Kreisen, Quadraten oder Rauten konzipierten Op-Art-Werke in den 70ern und 80er als Kunstdrucke die Runde machten, verbindet man Victor Vasarelys viel optisches Täuschungspotenzial liefernde Kunst letztlich eher mit vergleichsweise dekorativen Abstraktionen. Das Frankfurter Städel offenbart nun in einer phantastischen Retrospektive, wie sehr man dem Begründer der Op-Art Unrecht tut, schiebt man ihn mancher knatschbunter, plakativer Werke wegen vorschnell in die psychedelische Populärkultur-Ecke.

Die Ausstellung besticht dadurch, dass sie Vasarelys gesamtes, weit über ein halbes Jahrhundert überspannendes Werk in den Blick nimmt – zurückgehend bis zu seinen geometrischen Anfängen als Werbegrafiker am ungarischen Bauhaus (dem Budapester Mühely) in den 20er Jahren und anschließend in Paris, wo er sein ausgeklügeltes Spiel mit Raumillusionen weiter vertiefte. Finden sich hier bisweilen noch Reste einer gegenständlichen Malerei – seine „Études homme en mouvement“ von 1943 etwa sehen Oskar Schlemmers Gliederfiguren zum Verwechseln ähnlich – , so findet der am Bauhaus und Suprematismus geschulte Vasarely (1906-1997) in den 40er Jahren dann bereits nach und nach zu jenem originären Abstraktionsalphabet, das er in den folgenden Jahrzehnten seriell immer weiter ausbuchstabiert.

Der über zwei Stockwerke führende Städel-Parcours beginnt im Untergeschoss mit dem nachgebauten Speisesaal, den Vasarely 1972 mit seinem Sohn Jean-Pierre (Künstlername „Yvaral“) für die Bundesbank entwarf: An den drei Wänden eine ganze Reihe von runden Kunststoffscheiben in diversen Abstufungen von Gelb, Okker, Silber und Schwarz, die sofort die poppige Einrichtungskultur der 70er zurückbringen. Gleich darauf folgt ein Bombardement mit großformatigen Op-Art-Werken wie „Vega Pal“ (1969), aus dessen vier Quadraten eine Kugel geschossgleich aus der Leinwand herausquillt. Die Perfektion, mit der uns Vasarely mittels optischer Verzerrungen in die Irre führt und die Leinwand dabei in den Raum hinauswachsen lässt, sucht in der Op-Art wohl Ihresgleichen. Was sich heute am Computer mühelos generieren lässt, schuf er noch ganz klassisch per Pinsel und Siebdruckverfahren mittels plastischer Oberflächenraster. Wie sein Strich Mal um Mal bei der Anordnung von Quadrat, Kreis und Raute zu immer neu variierten Baukastensystemen dieselbe makellose Präzision erreichte, erschließt sich selbst beim Betrachten der Originale nicht.

Als Vasarely in den 70ern seine im Städel üppig vertretene Vega-Serie schuf, stand er im Zenith seiner künstlerischen Laufbahn. Permutativ kreierte er immer neue Farb- und Form-Kombinationen – was in der in Frankfurt gezeigten Ballung durchaus gewisse Ermüdungseffekte zeitigt. Da die Schau die Werkchronologie umkehrt, vollzieht man Vasarelys künstlerische Entwicklung im ersten Teil Stück um Stück zurück bis in die 50er Jahre, während der zweite Teil (im Obergeschoss) aus der Nachkriegszeit bis zu seinen Anfängen in den 20ern zurückführt. Während Vasarely in (teils schreienden Farben) in den 60er und 70er Jahren das Serielle kultiviert, überraschen seine Arbeiten aus den 50ern mit einem geradezu meditativen Gestus – etwa die Tuschezeichnung „Banghor“ von 1951 oder die feingliedrige Schwarzweiß-Studie „Belle-Isle-Meaux“ (1949/51), in denen Vasarelys charakteristische Abstraktionen noch ungleich organischer, sensitiver, ja narrativer wirken.

Wie sehr er ein Augenmensch war, belegt die auch in den Städel-Begleittexten wieder kolportierte Wirkung, die die Kachelmuster der Pariser Metrostation Denfert-Rochereau auf ihn hatten. Demnach erinnerten ihn die gesprungenen Farbflächen in den U-Bahn-Gängen an Stadt- und Landschaftssilhouetten, die er dann in seinem oft mit Staffelungen arbeitenden Bildvokabular der 50er Jahre aufgreift. Tatsächlich entwickeln Vasarelys Flächen schon damals eine markante Multiperspektivität. Im Nachhinein muten die 50er Jahre als seine produktivste Zeit an: In der Forschung als seine „Noir-et-blanc-Periode“ verbucht, konstruierte Vasarely damals zwar überwiegend abstrakte Bildräume. Die Kreativität, die er dabei an den Tag legte, aber übertrifft im Grunde noch sein Spätwerk der 70er und 80er. „Lomblin“ etwa, eine extrem reduzierte Arbeit von 1951, gründet (wie ganz explizit auch Vasarelys „Hommage à Malevich“ von 1952-58) in Malewitschs „Schwarzem Quadrat“, mit dem die Bildkunst um 1915 durch totale Negation die reine Gegenstandslosigkeit erreicht hatte. In Vasarelys Lomblin-Bild kehrt Malewitschs Schlüsselwerk als weißes Quadrat in Negation wieder – überwölbt von einem schwarzen Oval, das aus einem zweiten weißen Quadrat aufsteigt. Eine jener Arbeiten, die zeigt, wie sehr dieser Victor Vasarely doch ein Meister maximaler Wirkungsenergien bei minimalem Mitteleinsatz war.

 Ein Blick in die Frankfurter Ausstellung.

Ein Blick in die Frankfurter Ausstellung.

 Ein Selbstporträt von Victor Vasarely aus dem Jahr 1944.

Ein Selbstporträt von Victor Vasarely aus dem Jahr 1944.

Bis 13. Januar. Dienstag, Mittwoch, Samstag und Sonntag: 10 bis 18 Uhr, Donnerstag und Freitag: 10 bis 21 Uhr. Katalog: 39 €. Informationen unter: www.staedelmuseum.de

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