Es muss nicht immer Hamlet sein

Saarbrücken · Schauspieler Cino Djavid (32) hat vier Jahre lang das Staatstheater bereichert. Doch bald zieht er von Saarbrücken weiter nach Braunschweig.

 Cino Djavid im Saarbrücker Staatstheater – bald sein Ex-Arbeitsplatz. Foto: Rich Serra

Cino Djavid im Saarbrücker Staatstheater – bald sein Ex-Arbeitsplatz. Foto: Rich Serra

Foto: Rich Serra

Vorgesprochen hat er 2013 in Saarbrücken mit dem Spiegelberg aus den "Räubern" - eine sonderbare Mischung aus Maulheld und Sadist, auf jeden Fall ein Kauz. Das passt ins Bild. Ebenso Cino Djavids Erzählung über sein theatrales Erweckungserlebnis in Hamburg, kurz vor dem Abitur. Ihn machte Michael Thalheimers umstrittene "Liliom"-Inszenierung süchtig. Neun Mal zog Djavid sie sich rein und wusste: Genau das will ich beruflich machen. Bis heute ist Thal-heimers formstrenge, zeichenhafte Ästhetik ein Regie-Stil-Favorit Djavids; auch das absurd-groteske Körpertheater eines Herbert Fritsch imponiert dem Saarbrücker Schauspieler. Und so wundert es nicht, dass dieser eher unscheinbare, zierliche Mann mit dem verhangenen, melancholischen Blick immer dann besonders gut ist, wenn er die Exaltierten und Extravaganten spielt. Anders herum wird womöglich genau so gut ein Schuh draus: Djavid verwandelt selbst unauffällige Figuren in dramaturgische Überraschungseier. Er entwickelt auch in Nebenrollen eine Präsenz, die einem Stromschlag gleicht. Sowas vergisst man nicht.

In nur vier Jahren hat sich der aus Hamburg stammende Djavid (32) in diese Premium-Kategorie vorgeschoben. Zuvor war er an der Landesbühne Nord in Wilhelmshaven, fuhr übers Land, bediente die Provinz, die keine war, wie er betont. Das fortschrittlichere Publikum saß oft in den kleineren Sälen. Nein, Hochmut ist sein Ding ebenso wenig wie Eitelkeit. Er, ein Publikumsliebling? Das will er gar nicht hören: "Ich denke nicht, dass ich einen Bonus habe." Und wenn er denn Sonderbeifall auf der Bühne bekomme, erlebe er das eher als Handicap: "Ich denke dann bei jedem Auftritt: Bin ich wirklich so gut? Komme ich wieder so gut an?"

Die zweifelnde Selbstbefragung scheint überhaupt ein Kommunikations-Grundmuster. Wir sitzen im leeren Staatstheater-Foyer. Mit Formulierungs-Arabesken pirscht sich Djavid an jeden Gedanken heran, umrundet ihn, stülpt ihn um, eine sanft schaukelnde Melodik, orientalisch? Djavid stammt aus einer persischen Familie. Nein, kein Flüchtlingshintergrund, die Eltern kamen als Ärzte nach Deutschland, kurz vor dem Ajatollah-Umsturz. Er fühlt sich überfordert, wenn man ihm Analysen oder Betroffenheits-Kommentare zur Migration abnötigen will. Aus der aktuellen Debatte habe er sich ausgeklinkt, berichtet er, er schotte sich sogar ab von zu viel Information: "Ich will mich unbelastet und ohne Angst im Land bewegen."

Bewegung, ein gutes Stichwort. Während Djavid spricht, verknoten sich seine Arme, der Oberkörper verdreht sich wie ein Korkenzieher - der Körper führt ein Eigenleben. Wie anders wäre unter anderem Djavids Interpretation der stummen Lucky-Rolle in "Warten auf Godot" zu erklären? Die gen Himmel verdrehten Augen, die lauernde Apathie, die Slapstick-Einlagen. So was kann man nicht mit dem Kopf erfinden, das muss man ausagieren. "Ich kenne mein Rezept nicht", sagt Djavid. Doch er weiß um seine Begabung. Das Gespür für Musikalität und Rhythmus, es pulsiert ihm durch die Venen, denn bei Familienfeiern wurde viel gesungen und musiziert. Das erklärt aber nicht alles. Was ist mit Vorbildern? Kritiker vergleichen ihn schon mal mit Kinski, Louis de Funès oder Buster Keaton. Dabei hat er keinen einzigen Film der Schauspiel-Stars gesehen, nur Youtube-Schnipsel. Was ihn allerdings umtreibt, ist die Frage: "Wie bin ich auch ohne Sprache präsent?" Dabei kramt Djavid bewusst "nicht immer in der selben eigenen Schublade. Sonst fühlt es sich irgendwann an wie ein altes Kaugummi, das man los werden will." Nein, so war's bisher nie. Weder im "Hiob" noch in "Wassa Shelesnowna", erst recht nicht im "Don Carlos" - die erste fette Rolle in Saarbrücken, ein Geniestreich. Der wiederholte sich mit Andri in "Andorra". Darf Djavid bei der letzten großen Saarbrücker Klassiker-Inszenierung von Intendantin Dagmar Schlingmann, im "Othello", dann etwa den Supermonsterhelden Jago spielen? Falsch getippt. Djavid gibt "nur" den Cassio.

Frust? Iwo. Djavid weiß: Die 18-Ender unter den Rollen, die Richards und Hamlets, die kommen noch. "Ich bin zu jung, als dass mir diese Stücke nicht noch mal begegnen weden." Allerdings nicht mehr in Saarbrücken. Djavid wechselt mit Schlingmann nach Braunschweig: "Ich gehe gerne mit, aber ich gehe ungern weg", sagt er. Im Saarland könne man entschleunigen, es sei eine "Region zum Sesshaftwerden" - nach der Schauspielerei. Was wäre das für eine Verschwendung.

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Cino Djavid steht zurzeit als Madame Pernelle in "Tartuffe" auf der Bühne des Saarländischen Staatstheaters. Die Termine: Heute, 10., 15. und 19. März, 7. und 25. April, 17. Mai. Karten: Tel. (06 81) 309 24 86.

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