„Blue my mind“ beim Ophüls-Festival „Erst kommt der Film und seine Wahrheit“
Saarbrücken · Die Schweizer Regisseurin Lisa Brühlmann über ihr Spielfilmdebüt „Blue my mind“ im Wettbewerb, Pubertät und die #MeToo-Debatte.
Gab es das schon einmal bei Ophüls? Oder auch bei einem anderen Festival? Wohl nicht: Im Wettbewerb stehen zwei Filme von zwei Eheleuten: „Blue my mind“ von Lisa Brühlmann und „Goliath“ von Brühlmanns Mann, Dominik Locher. Beide waren jeweils in die Stoffe des anderen involviert, beide wünschen sich gegenseitig Glück für die Preisverleihung; aber Sätze wie „Ich würde gerne gewinnen“ – „Ja, ich aber auch“ seien schon gefallen, erzählt Lisa Brühlmann, „das ist wohl nur menschlich“.
Kurios ist, dass beide Filme von einer auch körperlichen Verwandlung erzählen: „Goliath“ von einem werdenden Vater, der sich gegen Ungewissheit und Versagensangst einen Muskelpanzer antrainiert, unterfüttert von Anabolika. Und auch der Körper von Mia, der Hauptfigur in „Blue my mind“, verändert sich. Die Pubertät macht aus dem Jungmädchenkörper, so scheint es, was sie will. Und das Mädchen tut nahezu alles, um hineinzupassen in ein neues Umfeld, eine neue Klasse – aber am Ende steht ihr eine völlig neue Welt offen. Welche, sei hier nicht verraten (für jene, die den Film bei Ophüls doch noch nicht gesehen haben). „Ohne den Inhalt vorher zu kennen, ist es einfach ein anderes Seherlebnis“, sagt Brühlmann. Nach dem Kinostart in der Schweiz hätten sich die Filmjournalisten gegenseitig überboten, den Grund und die Art von Mias Verwandlung herauszustellen. „Das fanden wir sehr schade für die Zuschauer.“
So traumatisch wie Mias Pubertät war die von Brühlmann überhaupt nicht, sagt sie, auch wenn sie in ihrem Drehbuch die Figur auflud „mit Erlebnissen und Gefühlen, die ich damals hatte“. Einige der Figuren sind stark autobiografisch; eine Freundin Mias etwa sei als Figur zusammengesetzt aus drei Freundinnen, die Brühlmann damals hatte. Den Film in Hochdeutsch zu drehen, um ihn im deutschsprachigen Raum leichter zeigen zu können, kam für Brühlmann nicht in Frage. „Ich komme aus Zürich, wollte dort drehen, in meiner Muttersprache – alles andere wäre für mich unrealistisch. Erst kommt der Film und seine Wahrheit. Erst danach wollte ich überlegen, wem er gefallen könnte.“
Im Januar 2013 begann sie mit dem Schreiben, im Sommer 2016 wurde gedreht. Es war weniger die Drehbucharbeit, die lange dauerte: Zwischendurch machte Brühlmann, die vom Schauspiel kommt, einen Masterstudiengang in Filmregie an der Zürcher Hochschule der Künste, drehte zwei 20-Minüter-Kurzfilme und brachte ein Kind zur Welt.
In nahezu jedem Filmbild ist Luna Wendler als Mia zu sehen, in einer sagenhaft feinnervigen und furchtlosen Darstellung. Bei den Dreharbeiten war sie 16 Jahre alt; in der Schweiz gibt es, was etwas überrascht, weniger strenge Regeln, was die Filmarbeit mit Kindern und Jugendlichen angeht als in Deutschland, wie Brühlmann erzählt. „Aber wir haben ohnehin drauf geschaut, dass die ganze Crew keine Überstunden macht – immerhin bloß eine hatten wir bei 34 Drehtagen.“
Eine Szene am Ende des Films ist vergleichsweise drastisch, um sexuelles Ausnutzen geht es, eine letzte Erniedrigung vor der Verwandlung. Wie dreht man so etwas, egal ob die Darstellerin nun 16 Jahre alt ist oder älter? „Das ist eine Frage der Filmmontage“, sagt Brühlmann, „die Schauspielerin hat, um es genau zu sagen, keinen Penis gesehen. Die Szene haben wir beim Casting schon intensiv besprochen, sie ist zentral für die Geschichte – und irgendwie haben wir sie hinter uns gebracht.“
Das System der sexuellen Ausbeutung in der Filmszene, das in der #MeToo-Debatte nun teilweise offengelegt wird, hat sie bei ihrer Film- oder Fernseharbeit nicht erlebt, sagt Brühlmann, davor aber schon: „In der Schauspielschule gab es einen Dozenten, der immer mit Studentinnen anbandelte und ihnen bessere Bewertungen oder Privatunterricht gab. Ich war da nicht beteiligt, aber es gab Mädchen, die dachten, die müssen das machen. Ich hoffe und glaube, dass sich jetzt aber etwas ändert.“
Ihre Zukunft sieht Brühlmann, Jahrgang 1981, in der Regie, weniger im Schauspiel. „Man ist das, was man macht, nicht das, was man mal studiert hat. Die Regie füllt jetzt mein Leben aus.“ Ihr Film hat noch einen keinen deutschen Verleih, aber er wurde schon nach Amerika, Kanada, Frankreich verkauft – und als erstes nach Taiwan. Hat sie das überrascht? „Mich hat es vor allem gefreut.“
„Blue My Mind“: So: 20 Uhr, CS 4.
„Goliath“: So:, 11 Uhr. CS 2.