Entwurzelt im Nirgendwo

Frankfurt · Museumsdirektor Max Hollein verabschiedet sich aus dem Städelmuseum mit einer bemerkenswerten Ausstellung: „Heldenbilder“, frühe Werke von Georg Baselitz.

 Georg Baselitz (78) zu Besuch in seiner Ausstellung. Foto: Norbert Miguletz / Städel Museum

Georg Baselitz (78) zu Besuch in seiner Ausstellung. Foto: Norbert Miguletz / Städel Museum

Foto: Norbert Miguletz / Städel Museum

In einem wahren Furor hat Georg Baselitz seine Werkgruppe der "Heldenbilder" 1965/66 gemalt. In nur einem Jahr schuf der damals 27-Jährige mehr als 70 Gemälde und Zeichnungen. Es war wohl aufgestaute Wut und Aggression in dem jungen Maler, die sich explosionsartig entlud. Das zeigt nicht nur der gewaltige Schaffensakt, sondern demonstrieren auch die Bilder. Expressiv, mit wilder Farbwahl und heftigem Pinselstrich malte Baselitz monumentale Figuren im Nirgendwo. Es sind Soldaten in zerschlissenen Uniformen oder gemarterte Maler mit Stigmata - von unseren Heldenvorstellungen sind sie weit entfernt. Ihren künstlerischen Reiz gewinnen die expressiven Werke aus dem Spannungsverhältnis von Figuration, fast schon gestischem Farbauftrag und autonomer Farbigkeit.

Aus innerer Notwendigkeit habe er die Bilder gemalt, sagt Baselitz. Die Gemälde scheinen eine Abrechnung mit der Gesellschaft zu sein, die 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der Aufarbeitung der Geschehnisse noch immer nicht wirklich begonnen hatte und in Justiz, Verwaltung und Politik immer noch auf die alten Köpfe setzte. Ausgerechnet den Soldaten in zerschlissener Uniform wählte der Künstler zum Protagonisten seiner Bilder, jenen Vertreter eines untergegangenen Deutschlands, das so viel Leid über die Welt gebracht hatte.

Viele seiner Gestalten bekommen durch ungewöhnliche Attribute und Titel eine neue Rolle. Da ist der Rebell, der Hirte oder der "Neue Typ". Aber auch der Künstler wird zum Gegenstand. Als "Moderner Maler" wird er von Zukunftsangst, Selbstzweifeln und Resignation geplagt und irrt entwurzelt durch die Welt.

Die Figuren haben muskulöse Körper mit breiten Schultern und kleinen Köpfen. Ihr Geschlechtsteil ist oftmals entblößt. Es sind keine gefallenen Helden, aber auch keine, die heroische Taten begangen haben. Ihr einziger Verdienst scheint es zu sein, überlebt zu haben. Trotz der Muskelpakete wirken die Protagonisten dünnhäutig, verletzlich und blicken verunsichert drein.

Stets sind die Helden im immer gleichen Leinwandformat frontal im Zentrum positioniert. Die trostlose Hintergrundlandschaft wird zum Bildrand meist unschärfer. Immer wieder tauchen brennende Häuser auf oder entlaubte Bäume. Immer wieder sind Schubkarren drapiert oder Tornister hängen den Helden wie Blei auf dem Rücken. Die Füße stecken im zerfurchten Boden fest, Hände und Finger sind in Fallen gefangen. Fast alle sind versehrt, teilweise entsetzlich zugerichtet. Es stellt sich kein Mitgefühl oder gar Mitleid ein. Die Figuren sind stolz und nicht ohne Pathos.

Entstanden waren die ersten Bilder in Florenz, wohin Baselitz mit einem Stipendium gegangen war, nachdem eine Ausstellung von Bildern mit masturbierenden Figuren in seiner ersten Einzelausstellung in der Berliner Galerie Werner & Katz zum Skandal geführt hatte. Sie endete in einer Beschlagnahmung durch die Staatsanwaltschaft. Die miefige Bundesrepublik hatte einen widerstrebenden Geist gefunden, der sich nun den Frust über die Zensur von der Seele arbeitete.

Das Städel hat mit der fabelhaften Präsentation seinen Ruf für hochkarätige Ausstellungen wieder einmal bewiesen. Durch variierende Wandfarben und eine lichte Hängung mit überraschenden Blickachsen wird ein tiefer Einblick in das Werk ermöglicht. Schade ist, dass man Gemälde und Zeichnungen getrennt hat, dabei wären die Vergleiche zwischen oftmals reduzierter Grafik und überbordender Malerei interessant gewesen, zumal von einigen Gemälden Variationen als Zeichnungen existieren.

Museumsdirektor Max Hollein verlässt Frankfurt in diesen Tagen Richtung San Francisco, wo er neuer Leiter der Fine Art Museums wird. Es war auch seine letzte Arbeit als Kurator für das Haus. Für ihn ist die Werkgruppe ein "Schlüsselwerk für die deutsche Malerei der Sechziger Jahre". Hier wird erstmals wirklich deutlich, wie wichtig diese Arbeiten für die deutsche Kunst der Nachkriegszeit sind.

Bis 23. Oktober. Dienstag, Mittwoch, Samstag, Sonntag

 Das Gemälde „Rebell“ (1965), im Original 162 auf 130 Zentimeter. Foto: Rosenstiel / Baselitz

Das Gemälde „Rebell“ (1965), im Original 162 auf 130 Zentimeter. Foto: Rosenstiel / Baselitz

Foto: Rosenstiel / Baselitz

10 bis 18 Uhr; Donnerstag und Frreitag 10 bis 21 Uhr. www.staedelmuseum.de

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