Berlinale Berlinale-Umbruch: Erste Bilanz von Kosslicks Abschiedsfestival

Berlin · Die Leitung der Berliner Filmfestspiele wechselt. Was kommt nach der Ära von Dieter Kosslick und wie war dieser Festival-Wettbewerb ohne klaren Favoriten bisher?

 Nach diesem Festival muss er den Hut nehmen: Berlinale-Direktor Dieter Kosslick.

Nach diesem Festival muss er den Hut nehmen: Berlinale-Direktor Dieter Kosslick.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

(dpa) Er ist der Mann mit dem roten Schal und dem schwarzen Hut auf dem roten Teppich, immer gut zu erkennen, selbst von oben und von hinten. Dieter Kosslick (70) hat die Berlinale 18 Jahre lang als Direktor geprägt. Dieses Jahr herrscht bei dem Filmfestival Abschiedsstimmung. Zugleich sind viele gespannt auf den Neubeginn.

Im Juni werden Carlo Chatrian (47) und Mariette Rissenbeek (62) als Doppelspitze die Leitung übernehmen. Noch halten sich die Neuen zurück und werden im Getümmel nur von Insidern erkannt. Von Chatrian gibt es ein verwischtes Bild, ein Phantom im Treppenhaus. Rissenbeek war vorab bei einer Podiumsrunde zu Gast und sprach über den deutschen Film. Auf den angekündigten Moment, das Trio aus alter und neuer Leitung einmal zusammen zu sehen, warteten die Fotografen bei der Berlinale bislang vergeblich. Gespräche gab es schon, aber noch keine medienwirksame Staffelübergabe.

Der Wettbewerb um die Berlinale-Bären neigte sich schon am Donnerstag dem Ende zu, einen Tag früher als sonst. Das lag daran, dass ein Film ungewöhnlicherweise mitten im Festival gestrichen wurde: „One Second“ von Zhang Yimou. Als Grund wurden von den Machern „technische Probleme“ bei der Post-Produktion genannt. Nach Einschätzung von Beobachtern erschien es aber auch nicht ausgeschlossen, dass Zhangs Film Opfer der strengen chinesischen Zensur wurde. Die Preise werden Samstag verliehen. Es ist ein durchwachsener Jahrgang mit einigen sehenswerten Filmen, aber ohne spektakuläre Momente. Regisseur Fatih Akin spaltete mit seinem Horror-Schocker „Der Goldene Handschuh“ über einen Hamburger Serienmörder das Publikum. Im Wettbewerb war in Nora Fingscheidts Drama „Systemsprenger“ zu sehen, wie stark das hiesige Kino sein kann. Der Film ist auch dem Produzenten Nico Hofmann („Ku‘damm 56“, „Unsere Mütter, unsere Väter“) aufgefallen. Er hat die jungen Talente im Blick – da merke man jetzt einfach den Generationswechsel, sagt er. Was sich an der Berlinale ändern sollte? „Offen gestanden wenig.“ Hofmann ist begeistert davon, dass etwa bei dem Festival 2000 Leute im Kino sitzen, wenn es um neue Serien geht.

Die Branche diskutierte über Netflix und das schlechte deutsche Kinojahr 2018. Stars wie Tilda Swinton und Catherine Deneuve kamen, beide quasi Stammgäste in Berlin. Die Berlinale fühlt sich an wie immer. Zugleich herrscht Wehmut wegen des Endes der Ära Kosslick –  er hat das Festival mit Expertise, Knuddelcharme und Holterdipolter-Englisch geleitet. Kosslick habe es geschafft, die Berlinale „aus dem Tiefschlaf“ zu wecken, sagt Iris Berben. Die Schauspielerin verweist auf eine der großen Leistungen von Kosslick: Er hat dem deutschen Film wieder eine Plattform gegeben. Fatih Akin lobt ebenfalls Kosslicks Verdienste für den deutschen Film. Er gehörte aber auch zu den Filmschaffenden, die sich Ende 2017 für einen Neubeginn der Berlinale aussprachen. Was soll nun also mit dem Wechsel anders werden? „Kosslick hat das Festival vergrößert, ein Publikumsevent daraus gemacht, das sich längst selbst finanziert durch das zahlende Publikum“, sagt Akin. Jetzt sei vielleicht die Zeit, in der man wieder zurückfahren müsse, um die Qualität der Filme herauszustellen. „Das hat mit der heutigen Zeit zu tun, nicht mit Kosslick“, sagt Akin. „Irgendwann, wenn es wieder lange genug klein war, wird es dann wieder wachsen. Ebbe und Flut.“ Damit spricht er den Punkt an, der am häufigsten kritisiert wird: Die Berlinale sei zu groß.

Andere finden genau das Große gut: Jedes Jahr laufen an elf Tagen 400 Filme. Mehr als 300 000 Karten werden verkauft. Kinofans nehmen sich für das Festival extra Urlaub und verfallen in einen einzigen Filmrausch. Die Berlinale gilt als riesiges Publikumsfestival, von Kinderfilmen bis zum Kulinarischen Kino. In Cannes und Venedig, wo man dank öffentlicher Gelder weniger auf den Verkauf von Kinokarten angewiesen ist, sind die Programme dagegen deutlich konzentrierter. Die Wettbewerbe können mehr hervorstechen.

Ob und wie Chatrian und Rissenbeek das Filmfest ändern werden, ist noch nicht bekannt. Das Fachblatt „Variety“ will erfahren haben, dass Chatrian angeblich Leute aus Locarno mitbringt, wo er das Schweizer Filmfest verantwortete. Der Italiener wird künstlerischer Leiter der Berlinale. Er gilt als Filmkunstfachmann mit Händchen für Publikumserfolge – eine seltene Kombination. Rissenbeek wird die geschäftsführende Leiterin. Die gebürtige Niederländerin kümmerte sich bislang um die Auslandsvertretung des deutschen Films, sie hat den hiesigen Branchenblick.

Erstmals in fast sieben Jahrzehnten ist damit eine Frau in der Leitung. Es passt dazu, dass der Noch-Chef Kosslick gerade eine internationale Vereinbarung für mehr Frauen in der Filmindustrie unterzeichnete. Ziel ist die Gleichberechtigung (50 zu 50) zwischen den Geschlechtern bis zum Jahr 2020. „Es ist nur ein erster kleiner Schritt, um die eingefahrenen Systeme zu öffnen“, sagt die Regisseurin Barbara Rohm vom Bündnis Pro Quote Film, das die Entwicklung genau verfolgt. Neu auch ist der Berlinale-Termin für 2020. Nachdem die Oscarverleihung auf den 9. Februar vorverlegt wurde, rückt die 70. Berlinale nach hinten und wird von 20. Februar bis 1. März stattfinden. Dann kollidiert sie nicht direkt mit Hollywood. Bislang schien es oft ein Problem zu sein, dass die Berlinale so knapp vor den Oscars lag. Vielleicht hilft dieser neue Termin mit bei der Neuaufstellung des Festivals.

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