Ein Zukunftslabor für die Großregion

Saarbrücken · Die Politik denkt nur in Legislaturperioden. Die Zukunftsprobleme interessiert das nicht. Seit 2010 wirbt der Saarbrücker Architekturprofessor Stefan Ochs für eine Inter- nationale Bauausstellung in der Großregion. Warum machte eine IBA Sinn?

Sieben Jahre lang nicht nur an einer Idee festzuhalten, sondern immer wieder auch Mittel und Wege zu deren Realisierung auszuloten - das verdient Respekt. Umso mehr, wenn die Idee einigen gesellschaftlichen Nutzen verspricht. Spötter könnten losgeifern, dass man als Architekturprofessor heute offenbar nicht ausgelastet ist. Damit muss man leben: Es gibt immer Typen, die auf die unterste Schublade abonniert sind. Stefan Ochs greift lieber in die oberste. Auf der in Großbuchstaben "Visionen" steht. Man hat das Gefühl, es täte dem Saarland gut, passierte das öfter.

Und was kramt Ochs, um im Bild zu bleiben, aus seiner Schublade? Ideen zuhauf, wie man Saarbrücken (und das Umland) aufwerten und hier eine IBA aufs Zukunftsgleis setzen könnte - eine Internationale Bauausstellung. Seit 2004 hat er an der Saarbrücker HTW im Bereich Architektur eine Professur für Entwerfen, Baukonstruktion und räumliche Gestaltung. Und seit 2010 hängt er der Idee an, im Saarland (gekoppelt mit der Großregion) eine solche IBA zu realisieren. Womit weder eine Baumesse noch Großprojekte oder gewaltige Bautätigkeiten gemeint sind. Letzteres wäre in einem Haushaltsnotlageland sowieso undenkbar.

Nein, Dreh- und Angelpunkt der mittlerweile ein Jahrhundert lang in der Praxis erprobten IBA-Philosophie ist vielmehr ein Brainpool, der das vorhandene stadt- und regionalplanerische Potenzial hebt, Netzwerke aufbaut, modellhaft Gestaltungsszenarien durchspielt, aber auch konkrete Projekte bis zur Ausführungsreife bringt. Im Idealfall fungieren IBA als Denk- und Organisationslabor zugleich, die über einen Zeitraum von üblicherweise zehn Jahren unter einem Generalthema (etwa Stadt-Land-Beziehungen, wie dies die derzeit laufende IBA Thüringen tut) für die Region zukunftsweisende Projekte vorantreiben sollen. Mit anderen Worten: Der gedankliche Horizont einer IBA reicht - anders als in der heutigen Politik - nicht nur bis zur nächsten Legislaturperiode.

2012 hatte das von Stefan Ochs damals schwer penetrierte saarländische IBA-Projekt noch Eingang in den Koalitionsvertrag der Groko von CDU und SPD gefunden. In den Jahren danach fanden beide Alpha-Tiere (Kramp-Karrenbauer und Rehlinger), so schildert Ochs im Rückblick den Eindruck seiner Gespräche mit ihnen, Gefallen an seiner IBA-Idee. Deren Realisierungsfähigkeit solle geprüft werden, hatten sich CDU und SPD vor fünf Jahren ins Regierungsprogramm geschrieben. Eine im Ministerium von Finanz- und Europaminister Stephan Toscani (CDU) verortete Arbeitsgruppe tagte dann sage und schreibe ein Mal, ist zu hören. Mögliche Förderkulissen wurden angerissen - dann geriet das Projekt in Vergessenheit.

Nun stehen, bei gleichem Personal, wieder Koalitionsverhandlungen an. Auf SZ-Anfrage kommt aus dem Toscani-Ministerium fünf Jahre nach den ersten Konsultationen als Antwort, das Projekt sei weiterhin "ein interessanter Ansatz", dessen Prüfung seinerzeit "aufgrund von anderen Priorisierungen ausgesetzt" worden und daher noch nicht abgeschlossen sei. Zupackend klingt anders.

Aber was nicht ist, kann ja vielleicht noch werden: 2019 wird das Saarland den Vorsitz beim Gipfel der Großregion (bestehend aus Luxemburg, der französischen Region Grande Est, Wallonie, Rheinland-Pfalz, Saarland) übernehmen. Böte sich da nicht die Vernetzung und Veredelung vorhandener Projekte und Initiativen im Sinne der IBA-Philosophie an? Sprich ortsgebundene Lösungen zu evaluieren für strukturelle Fragestellungen der Zukunft.

Abwegig ist Stefan Ochs' Position nicht, dass Europa gerade jetzt "starke Zeichen und Impulse" brauche, sofern der europäische Geist nicht vor die Hunde gehen soll. Insoweit würde es für eine Region, die gerne ihre Lage im Herzen Europas beschwört, durchaus Sinn machen, sich ein Projekt auf die politischen Fahnen zu schreiben, das Zukunft vergegenwärtigt. Wird doch seit langer Zeit dies- wie jenseits der Grenze beklagt, dass großregionale Projekte selten konsequent verfolgt, geschweige denn von Dauer sind. Auch ist der konkrete Nutzen der von der Ministerpräsidentin beherzt als Leitbild apostrophierten Frankreich-Strategie bisher reichlich nebulös.

Was konkret schwebte Ochs aber nun vor, im Rahmen einer solchen IBA zu verhandeln? Der in der gesamten Großregion virulente demographische Wandel werde in den nächsten Jahrzehnten viele Lebensbereiche prägen: Unter dem Titel "Nachhaltige Stadtentwicklung" hat Ochs diverse Aspekte davon in einem 150-seitigen Buchmanuskript am Beispiel Saarbrückens skizziert. Da sich das Leben - auch hierzulande - mittel- und langfristig in Städten konzentrieren wird, dürfte die Wohn- und Lebensraumnachfrage (zumal bei mutmaßlich weiter schwindender Versorgungslage in ländlichen Gebieten) in urbanen Gebieten kontinuierlich zunehmen. Umso wichtiger wird nach Überzeugung von Ochs ein vorausschauendes Flächenmanagment, das Generieren attraktiver Stadträume sowie Konzepte zur Mobilitäts- und Infrastrukturentwicklung. Seine Architekturkollegen in Nancy, Straßburg und Luxemburg bestätigen ihm, die Urbanisierungstendenzen dort ganz ähnlich zu sehen.

1,5 Millionen Euro pro Jahr würde nach Ochs' Berechnungen die Einrichtung eines IBA-Büros kosten, in dem in Phase 1 eines zehnjährigen IBA-Prozesses Planer und Spezialisten aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie, Soziales, Stadtplanung und Kultur interdisziplinär tragfähige, regionalspezifisch bedeutsame Zukunftsmodelle ermitteln. Sondiert hat Ochs nach eigener Aussage, inwieweit sich hierfür EU-Gelder anzapfen ließen. "Das EU-Förderprogramm Interreg 5a, das derzeit für die Förderperiode 2014-2020 läuft, passt.

" Würde man ferner die gesamte, in der Großregion selbst vorhandene Zuschusskulisse abklopfen, sei eine Förderquote von 75 Prozent eines solchen IBA-Büros auf drei Jahre realistisch, behauptet Ochs. Blieben für die fünf Partner in der Großregion nur jeweils Kosten von 225 000 Euro, verteilt auf drei Jahre. Wäre dem tatsächlich so, gäbe es nicht mal finanzielle Gründe gegen eine IBA der Großregion.

Spiritus rector Ochs spekuliert nicht darauf, partout auch deren Kopf zu sein. "Macht die IBA ohne mich, aber macht sie", sagt er an die Adresse der Entscheider gerichtet. Er biete aber auch an, schickt der 58-Jährige hinterher, zwei Jahre lang auf Basis eines IBA-Büros ein Netzwerk aufzubauen. Wann, wenn nicht jetzt, sollte sich die Politik einen Ruck geben?

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