Fotoausstellung im Saarlandmuseum Ein Sonnenanbeter unter bleichem Himmel

Saarbrücken · Im Saarlandmuseum eröffnet heute eine Ausstellung mit 85 Werken des Fotokünstlers Hans-Christian Schink. Dokumentiert werden seine wichtigsten Werkphasen seit 1995 – ein Besuch, der lohnt.

 Eine der durch fotochemische Solarisation entstandenen Langzeitbelichtungen aus Schinks Serie „1 h“: Der schwarze Balken zeigt den Sonnenverlauf binnen einer Stunde in der algerischen  Wüste.

Eine der durch fotochemische Solarisation entstandenen Langzeitbelichtungen aus Schinks Serie „1 h“: Der schwarze Balken zeigt den Sonnenverlauf binnen einer Stunde in der algerischen  Wüste.

Foto: Hans-Christian Schlink/Saarlandmuseum/Hans-Christian Schlink

„Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ hieß die 2004 von Hans-Christian Schink im Berliner Martin Gropius Bau gezeigte Serie, die ihn damals mit einem Mal bekannt machte: 1995 bis 2003 entstanden, offenbarte sie die Janusgesichtigkeit der nach der Wende beschworenen „blühenden Landschaften“ im Osten: gewaltige Brücken, Bahntrassen und Autobahnen, die in monumentaler Geste für einen handstreichartigen Aufbruch standen, der die Spuren des Verfalls bereits in sich zu tragen schien. Schink lieferte Fotos auf des Messers Schneide, die die formale Schönheit dieser baulichen Betonklingen ebenso festhielten wie die von diesen geschlagenen Wunden.

Fortan war er im Kunstbetrieb eine feste Größe, sodass seine Werke bald darauf eine Wertsteigerung um 400 Prozent erzielten. Heute kosten manche seiner Großformate 43 000 Euro. Ist er also, was man einen gemachten Mann nennt? Gestern, bei der Führung durch die heute eröffnende Werkschau, begegnete man einem ebenso nachdenklichen wie offenherzigen Künstler, der an etwas erinnerte, was man da leicht außer Acht lässt: nicht nur den zeitlichen und reisetechnischen Aufwand, der mit seinen Werkserien oft einhergeht, sondern auch die enormen Entwicklungskosten dieser Großformate, von denen er jeweils acht Abzüge machen lässt – zum Herstellungspreis von 4000 Euro pro Blatt.

Dies wissend, ist es nurmehr ein kleiner Schritt zum Verständnis seiner künstlerischen Position: Schink produziert nicht reihenweise Fotos, aus denen er später auswählt, was Bestand hat. Sondern er arbeitet vorzugsweise mit einer auf ein Stativ aufgebauten Großformatkamera – der denkbar größte Gegensatz zur schnell in Beliebigkeit (oder artifiziellen Nachbearbeitungen) endenden Digitalfotografie von heute. Oft stehe er lange in einer Landschaft und studiere sie genau, um erst dann seine Kamera aufs Stativ zu schrauben – und häufig nur eine Aufnahme zu machen, erzählt Schink.

 Beim Gang durch die Ausstellung nehmen insbesondere acht Aufnahmen aus seiner 37-teiligen, grandiosen Schwarz-Weiß-Serie „1h“ gefangen: Eine jede zeigt einen schwarzen Balken, der in einer menschenleeren Landschaft zu schweben scheint. Der Streifen zeigt den Sonnenverlauf während der einstündigen Belichtung der Aufnahmen und „schluckt“ mittels eines fotochemischen Solarisationseffekts die überbelichteten Partien (den von der Erdrotation gelenkten Sonnenverlauf): Aus der Scheibe wird eine Linie, aus Licht Schwarzraum.

 Die Frage nach dem Wesen von Zeit und Licht beantworten diese Aufnahmen, indem sie eine neue, normalerweise nicht wahrnehmbare Realität erzeugen. Es sind, wie Roland Augustin im Katalog zur Saarbrücker Ausstellung treffend schreibt, „Bewegungszeichnungen, die letztlich die Erde selbst gemacht hat“. Ebenso wenig existiert, was wir als Wolken auf einigen dieser insoweit transzendental aufgeladenen Fotografien auszumachen glauben: Vielmehr entstehen diese Himmelschraffuren beim Eintauchen des durch die Langzeitbelichtung quasi überbeanspruchten Filmmaterials in den Entwickler.

Von Spitzbergen bis Kalifornien, von Neuseeland bis Peru reiste Schink Monate lang jeweils über die Nord- und Südhalbkugel – auf der Suche nach dem (vom Breitengrad des Standortes abhängigen) spezifischen Winkel der Sonnenlinie und einer geeigneten Landschaftskulisse, in die er seine Sonnenbalken einfassen könnte. Bei jedem einzelnen Bild berechnete er mit einem Kompass, „wo die Sonne im Verlauf dieser einen Stunde darin auf- und untergehen“ würde, ohne dabei quasi aus dem gewählten Bildmotiv hinauszuwandern. Umso phantastischer sind die Ergebnisse: etwa der exakt zwischen zwei Felsen im Gegenlicht wie im Fall erstarrte Sonnenbalken in einer Aufnahme in der algerischen Wüste. Er könne nun verstehen, meint Schink, dass es Religionen gebe, „in denen die Sonne als Gottheit angebetet wird“.

Das Saarlandmuseum zeigt nahezu alle seine größeren Serien in repräsentativer Auswahl. So offenbart sich die bemerkenswerte Vielfalt des heute in einem winzigen Dorf in Mecklenburg lebenden, 1961 in Erfurt geborenen Fotokünstlers. Zustande kam sie dadurch, dass Schink 2013 den Rohbau des Vierten Pavillons sowie 2017 dessen Fertigstellung dokumentierte (eingefädelt vom seinerzeit als Retter des Erweiterungsbau-Dramas engagierten Berliner Büros Kuehn & Malvezzi). Wie eine Remineszenz daran mutet das (dann doch eine kahle Betonwand in Weimar zeigende) Großformat gleich linkerhand des Eingangs zum alten Wechselausstellungspavillon an.

„Hier und Dort“, so der Titel der Schau, spielt auf die topographische Bipolarität der Serien an: Während „Verkehrsprojekte Deutsche Einheit“ oder seine jüngste „Hinterland“­-Serie, in der Schink (nun mit einer Mamiya-7-Mittelformatkamera) auf fast grafische Weise mecklenburgische Landschaften komponiert, Auseinandersetzungen mit seiner Heimat sind, zeigen andere die Erträge ausgedehnter Fernreisen. Am Bezwingendsten wirkt dabei sein Tohoku-Projekt: Ein Jahr nach dem Erdbeben, das 2011 Japans Hauptinsel Honshu auf 400 Kilometern Küstenlänge heimsuchte (und dabei auch den Reaktor in Fukushima), erkundete Schink die betroffenen Areale. Vordergründig Spektakuläres ließ er aus, ihn interessierte, was man den Resonanzraum der leicht übersehenen Verwerfungen nennen könnte.

Zeigen andere Schaffensphasen (ob seine untypischen L.A.-Impressionen oder seine monochromen, Abstraktion predigenden Frontalaufnahmen knallbunter Gewerbegebietwände) die Grenzen seines reduktionistischen Stils, so findet Schink in seinen elegischen Japan-Ansichten, über denen ein (für ihn charakteristisch) ausgebleichter Himmel liegt, eine famose Bildsprache, die weiter auszuformulieren man ihm wünscht.

 Eine der Aufnahmen aus Schinks Tohoku-Zyklus, aufgenommen 2012 in Kamiogatsu – ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Japan.

Eine der Aufnahmen aus Schinks Tohoku-Zyklus, aufgenommen 2012 in Kamiogatsu – ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Japan.

Foto: Hans-Christian Schink/Saarlandmuseum/Hans-Christian Schink

Vernissage: Heute um 19 Uhr.
Bis 5. August. Di bis So: 10-18 Uhr, Mi: 10-20 Uhr.
Der Katalog, vorzüglich im Druck, bildet alle gezeigten Arbeiten ab.

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