Literaturzeitschriften Ein Krautgarten ist nicht zu verachten, oder?

Saarbrücken/Eupen · Nach 35 Jahren hat die Literaturzeitschrift „Krautgarten“, die wichtigste der Großregion Saar-Lor-Lux-Wallonie, aufgegeben. Was sind die Gründe?

 Bruno Kartheuser, seit 1982 Chefredakteur des „Krautgarten“.

Bruno Kartheuser, seit 1982 Chefredakteur des „Krautgarten“.

Dass ein sogenannter „Fliegenschiss“, wie Bruno Kartheuser seine Heimat Ostbelgien im Eifer des Gefechts und in Anspielung auf deren territoriale Winzigkeit und relative europäische Bedeutungslosigkeit schon mal nennt, eine eigene Regierung samt und sonders Parlament und Ministerpräsident stellt, gehört angesichts der von Letzterem repräsentierten, gerade mal 77 000 Einwohner zu den zumeist vergessenen Besonderheiten Europas. Für gewöhnlich segelt die deutsche Gemeinschaft Belgiens, deren 16 Kilometer südlich von Aachen gelegene Kapitale Eupen sagenhafte 19 000 Einwohner zählt, denn auch als zwergenhaftes Beiboot im Windschatten des großen Tankers EU. Und bleibt damit unterhalb des öffentlichen Radars.

Nun aber hat es die Deutsche Gemeinschaft (DG) ausnahmsweise doch mal über die Wahrnehmungsschwelle geschafft. Schön ist das in dem Fall nicht, resultiert daraus doch im Hinblick auf die Folgen dieses Falls eher ein Paradox. Aus Sankt Vith, einer 9600 Seelen zählenden „Außenstelle“ der DG Ostbelgiens, kommt die traurige Kunde, dass der „Krautgarten“ das Zeitliche gesegnet hat. Und damit just jene Literaturzeitschrift, die dort seit 35 Jahren für die deutschsprachige Gemeinschaft Ostbelgiens unter kulturellen Vorzeichen fraglos der bekannteste publizistische Kontakt zur europäischen Außenwelt war.

Der „Krautgarten“ war nicht irgendeine Literaturzeitschrift der Großregion Saar-Lor-Lux-Wallonie, sondern ungeachtet ihrer mickrigen Auflage von gerade mal 800 Exemplaren die mit der größten Reputation und Ausstrahlung. Die jüngste, letzte 71. Ausgabe listet namhafte Autoren auf, die dort Texte publizierten – etwa die Österreicher Franzobel und Michael Köhlmeier, die Luxemburger Nico Helminger und Georges Hausemer oder die deutschen Autoren Katja Lange-Müller, Peter Kurzeck, Marcel Beyer oder Hans-Joachim Schädlich. Vor allem aber enthält sie ein Dossier, in dem der Herausgeber und Chefredakteur, der eingangs erwähnte Bruno Kartheuser, auf elf wutschäumenden Seiten die Gründe für den „Tod“ der Zeitschrift aus seiner Sicht resümiert.

Kartheuser fährt scharfe Geschütze auf und geißelt „die Verachtung und den Gleichschaltungstrieb der Kulturpolitiker“ der Deutschen Gemeinschaft Ostbelgiens, die die von seiner Zeitschrift erbrachte kulturelle Aufarbeitung über Jahre hinweg torpediert hätten. Ihren Zenit erreichte die seit Jahren schwelende Kontroverse zwischen dem „Krautgarten“ und der Lokalregierung demnach 2014 mit einem regierungsamtlichen Kulturdekret: Es gruppierte die ostbelgischen Kulturinitiativen in drei Kategorien ein und bestimmte so deren Fördervolumen. Dass der „Krautgarten“ in die niedrigste eingruppiert wurde und der Zeitschrift mithin die erhoffte Ganztagsstelle zur Entlastung des vorgestern 70 Jahre alt gewordenen Kartheuser verwehrt blieb, wertete dieser als Ausdruck bornierten Banausentums und „autoritärer Gängelung“. Tatsächlich sei man der DG-Regierung zu unbequem gewesen – verstand sich der „Krautgarten“ doch nie als reine Literaturzeitschrift. Vielmehr legte man seit 1982 gezielt und ausdauernd die publizistischen Finger in unliebsame politische Wunden und Skandale. Den vermeintlichen Eupener Politfilz listet das Dossier nochmal genüsslich auf, setzt als Schlussstrich aber darunter, dass Unabhängigkeit „leider in Ostbelgien nicht geduldet“ werde.

Am Telefon macht Kartheuser klar, dass die Einstellung der Zeitschrift von der fünfköpfigen Autoren-Redaktion mitgetragen werde. Deren Nicht-Anerkennung als „professioneller Kulturproduzent“ sei eine gezielte Abstrafung ihrer unerwünschten Aufklärungsarbeit. Gefragt, ob er mit der Aufgabe insoweit nicht kapituliere, antwortet Kartheuser, mit nun 70 Jahren habe er sich lange genug „in den politischen, ostbelgischen Schlamm und Sumpf hineinbegeben“. Jahrelang habe er, „der alternde Esel“, Förder- und Sponsorengelder zum Erhalt des „Krautgartens“ zusammengebettelt und permanente Selbstausbeutung betrieben – jetzt aber sei’s genug.

Zwei Ausgaben wurden seit 1982 pro Jahr gestemmt, für die jeweils zwischen 50 und 80 (bekannte und unbekannte) Autoren unentgeltlich Manuskripte eingesandt hatten, woraus die Redaktion dann rund 25 auswählte und abdruckte. Jedes Heft enthielt außerdem Rezensionen von literarischen Neuerscheinungen, dazu ein Künstlerporträt und die besagten Gesellschaftsanalysen. Oft aus der spitzen Feder Kartheusers, der mit einer vierbändigen Aufarbeitung der ungesühnten Wehrmachtsverbrechen vom Juni 1944 im französischen Tulle bekannt wurde. Als Buchverlag werde der „Krautgarten“ fortbestehen, sagt Kartheuser. Und damit weiterhin ein Forum für konstruktive Kritik sein. Die Zeitschrift aber ist nun Geschichte. Dass ihr Ende in Ostbelgien bislang unkommentiert blieb, spricht nicht für die deutsche Gemeinde. Gut möglich, dass die ostbelgische Politik sich (vorerst) bestätigt sieht.

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