Holger Czukay gestorben Ein Klang-Dadaist: Zum Tod von Holger Czukay

Köln · Er begriff Musik als Happening. Mit 79 Jahren ist Holger Czukay gestorben – „Can“-Bassist und Band-Mitgründer, Klangkünstler und Sampling-Guru.

Hätte Karlheinz Stockhausen, bei dem er in den 60ern Komposition studierte, ihm damals nicht den Rat gegeben, dass man reiche Frauen heiraten solle, und wäre er deshalb nicht als Privatlehrer an ein Schweizer Mädchen-Pensionat gegangen und hätte Holger Czukay dort (nebenan im Jungstrakt) nicht den Pennäler Michael Karoli getroffen – dann hätte es Can vielleicht nie gegeben. Mit Karoli, Jacki Liebezeit und Irmin Schmidt (wie Czukay ein Stockhausen-Schüler) gründete Czukay 1968 die neben Kraftwerk wohl einflussreichste deutsche Band, die es je gab. Wobei Can, die Psychodelic, Jazz, Klassik und Elektronik in einen ausufernden Collage-Sound überführten, außerhalb Deutschlands immer mehr galten als daheim. Etwa in Japan. In einem Interview erzählte Irmin Schmidt neulich, wie man ihn in Tokio mal auf der Straße erkannte und „Oh, oh, oh, Irm, Irm, Irm“ rief.

Ausgerechnet im alten Can-Tonstudio in Weilerswist bei Köln, das Czukay über die Jahre zu seiner Wohnung ausgebaut hatte, wurde er gestern tot aufgefunden. Mit ihm starb einer der originellsten Musiker der Krautrock-Ära. Bei Can besorgte Czukay, der nicht nur in seinem Aussehen an Catweazle erinnerte, den Bass-Part, vor allem aber war er auch der orchestral denkende Ton-Ingenieur, der mit Klangmaterial, Magnetbändern und Radioschnipseln wild herumexperimentierte. Die Studio-Alben von Can puzzelte Czukay gerne aus endlosen Band-Sessions zusammen. Auch auf den späteren Soloplatten, 1977 war er bei Can ausgestiegen, erwies er sich als Meister des Samplings, der auf „Movies“ (1979), „Der Osten ist rot“ (1984) oder „Mirage“ (2006) abgedrehte Klanglandschaften baute. Diamanten schliff wie „Ode to perfume“ oder „Hollywood symphony“.

Czukay selbst bezeichnete sich als „Privat-Sinfoniker“. Ob Bass, Flügelhorn oder Synthesizer: Er holte die schrägsten Töne aus ihnen heraus und lud seine mit Dissonanzen spielenden Stücke lautmalerisch und orchestral gerne bis zum Anschlag auf. Holger Czukay begriff Musik als Happening. Er selbst war dabei ein genialer Zufallsgenerator – ein Klang-Dadaist.

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