Ein Jahr ÖVP/FPÖ-Koalition in Österreich Sebastian Kurz geht mit Rückenwind ins zweite Jahr

Wien ·  Internationale Aufmerksamkeit galt der Wiener Regierung von Sebastian Kurz aus konservativer ÖVP und rechter FPÖ bisher meist dann, wenn sie ihren Anti-Migrationskurs verschärfte oder sich im Fall der FPÖ der Verdacht antisemitischer und rassistischer Gedanken zu erhärten schien.

 Sebastian Kurz (32) führt die Liste der beliebtesten Politiker Österreichs einsam an. 

Sebastian Kurz (32) führt die Liste der beliebtesten Politiker Österreichs einsam an. 

Foto: AP/Geert Vanden Wijngaert

Ein Jahr nach dem Start am 18. Dezember 2017 probt das Bündnis nun die Aufstockung der Agenda.

Pflege, Steuerreform und Digitalisierung sind die neuen Stichworte, mit denen Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) das nächste Jahr prägen wollen. Zum bisherigen Dauerthema Migration präsentierte Europas nach wie vor jüngster Regierungschef bei der gemeinsamen Bilanz-Pressekonferenz die Formel „Wir wollen Ordnung statt Chaos“.

Die neue Agenda soll schon früh der sich erst langsam sortierenden Opposition Wind aus den Segeln nehmen. Die Sozialdemokraten haben die „soziale Kälte“ der rechtskonservativen Koalition als offene Flanke ausgemacht. Die Steuerreform mit einem angestrebten Entlastungseffekt von fünf Milliarden Euro solle vor allem kleinen und mittleren Einkommen zugutekommen, verspricht Kurz. Getragen von einer sich nur langsam abschwächenden Hochkonjunktur kann die Regierung darüber hinaus erstmals seit Jahrzehnten mit einem Nulldefizit im Staatshaushalt rechnen.

Gegenwind verspürte Schwarz-Blau im ersten Jahr am ehesten beim gekippten Rauchverbot in der Gastronomie, bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit – jetzt sind Zwölf-Stunden-Tage möglich – und der Neugestaltung der Mindestsicherung. Für anerkannte Asylbewerber soll es nur dann die volle Höhe von 832 Euro im Monat geben, wenn sie ausreichende Deutschkenntnisse vorweisen. Außerdem wurde das Kindergeld ab dem vierten Kind merklich gekürzt, was bei den Sozialverbänden für großes Kopfschütteln sorgte. Der Umbau der sozialen Sicherung, die ausdrück­lich den Anreiz zur Annahme eines Jobs erhöhen soll, erinnert den Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer vom Institut OGM an eine Reform in Deutschland. „Da ist etwas im Gange, das der Hartz-IV-Regelung nicht so unähnlich ist.“

Die Umfragewerte für Kurz und die ÖVP sind beachtlich. Im Vergleich zur Wahl 2018 legte die ÖVP noch ein paar Prozentpunkte auf rund 35 Prozent zu. Kurz selbst führt bei den Beliebtheitswerten das entsprechende Polit-Barometer einsam an.  Strache dagegen ist abgeschlagen. Die FPÖ hält sich aktuell bei rund 24 Prozent – etwa gleichauf mit der SPÖ. Aus Sicht von Bachmayer vermittelt die Regierung mit ihren Reformen vor allem eine in Österreich lange vermisste Handlungsfähigkeit. Es sei eine Zeit ohne Streit, Blockade und Stillstand, so der Meinungsforscher.

Die SPÖ als größte Oppositionskraft hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Ex-Kanzler und Parteichef Christian Kern fand sich in seiner neuen Rolle nie wirklich zurecht und sein Abgang auf Raten im Herbst brachte seine Partei arg in Bedrängnis. Die Wahl der kämpferischen Ärztin Pamela Rendi-Wagner zur neuen SPÖ-Vorsitzenden wirkte wie ein Startsignal auf dem Weg zur Rückkehr an die Macht.

Spannung verspricht der EU-Wahlkampf im nächsten Frühjahr. Die Zeitung „Kurier“ fragt: „Wird Kurz die Grätsche zwischen einem EU-feindlichen FPÖ-Wahlkampf und seiner eigenen, proeuropäischen Partei hinbekommen?“ Aus Sicht des Politik-Analysten Bachmayer sollte aber keiner von einer wirklichen Belastungsprobe ausgehen. „Manche Dissonanzen werden Teil einer gut geplanten Choreographie sein. Da wird es manchmal knallen, aber keiner tut sich wirklich weh.“

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