Ausstellungen Ein Hoch auf die Schonungslosigkeit!

Frankfurt · In einer grandiosen Ausstellung fängt die Frankfurter Schirn Kunsthalle „Glanz und Elend der Weimarer Republik“ ein. Ihr größtes Verdienst ist es, viele zu Unrecht völlig vergessene Künstler ans Licht zu holen.

 George Grosz, Straßenszene (Kurfürstendamm), 1925, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

George Grosz, Straßenszene (Kurfürstendamm), 1925, Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Foto: Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018

„Den Unterdrückten die wahren Gesichter ihrer Herren zu zeigen, gilt meine Arbeit. Der Mensch ist nicht gut, sondern ein Vieh“, schrieb George Grosz 1922. Treffender lässt sich das, was die Frankfurter Schirn in einer grandiosen Ausstellung als „Glanz und Elend der Weimarer Republik“ zusammengetragen hat, kaum zusammenfassen. Der Topos von den „Goldenen Zwanzigern“ wird in den meisten Werken demaskiert und Lügen gestraft. Die Schau bündelt ein Panoptikum an sozialem Elend;  sie gruppiert in schneidender Wahrhaftigkeit Kriegsversehrte, Profitgeier, Ausgemergelte, Nachteulen, Lasterhafte und Identitätssucher nebeneinander und spiegelt den innerlichen wie äußerlichen Verfall einer von Extremen geprägten Gesellschaft. Einen Tanz auf einem Vulkan führte sie auf. Deulich wird: Nie war das 20. Jahrhundert aufgewühlter, krasser und innovativer als zu Zeiten der Weimarer Republik, die förmlich zerrieben wurde von den Folgen des 1. Weltkrieges, von der tiefen, Schrillheit und Verlogenheit zuhauf gebierenden Kluft zwischen Tradition und Moderne sowie nicht zuletzt von dem heraufziehenden Nationalsozialismus.

Was diese Ausstellung aber vor allem offenbart, ist die ungeheure Politisierung der damaligen Kunst. Man reibt sich die Augen und erkennt mehr denn je, wie unpolitisch die heutige Kunst doch ist. Die kunstgeschichtliche Verortung der Weimarer Zeit als Hochphase der in ihrer Plastizität kühl und unbeteiligt daherkommenden Neuen Sachlichkeit greift zu kurz: Übersehen wird so leicht, dass zugleich ein politisch aufgeladener Verismus am Werk war und eine Art spätexpressionistischer Realismus von äußerster Schonungslosigkeit.

Natürlich fehlen weder George Grosz noch Otto Dix, die beiden Meister eines auf die Spitze getriebenen sozialen Realismus, oder der splendide satirische Verzerrungen pflegende Karl Hubbuch. Genauso wenig wie am anderen Ende der ikonographischen Typenpalette Christian Schadt, bis heute malerischer Inbegriff der eisigen Distanz der Neuen Sachlichkeit. Doch belässt es Kuratorin Ingrid Pfeiffer nicht bei diesen naheliegenden Gewährsleuten; vielmehr stehen bei ihr weitgehend zu Unrecht vergessene Künstler im Fokus. Vor allem auch Künstlerinnen. Markierte die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen doch die Befreiung der Frau aus jahrhundertelanger Bevormundung. Wie sehr sich Geschlechtertypologien und Rollenverständnisse (bis hin zur Feier von Transvestiten und Bisexualität) revolutionierten, dokumentieren zahlreiche der insgesamt gezeigten gut 190 Werke. Frauen prägten, – sei es, um ihre Familien zu ernähren oder aber um endlich unabhängig zu werden – mehr denn je die sich durch eine blühende Vergnügungsindustrie rasant verändernde Berufswelt. Verdingten sich als Stenotypistin, Verkäuferin, Tänzerin, Hure, Akademikerin und Künstlerin.

Zu den großen Entdeckungen der Schau gehört die 1940 von den Nazis ermordete Elfriede Lohse-Wächtler, deren Pastellkreidezeichnungen eine florale Konturierung zeigen, in der alle Klarheiten verschwimmen. Daneben zeigen etwa Illustrationen von Dodo (Dörte Clara Wolff) und vor allem der gerade erst mit einer Einzelausstellung in der Berlinischen Galerie wieder entdeckten Jeanne Mammen das Potenzial, das sich Künstlerinnen  mit einem Mal im Zuge der Boomzeit der Illustrierten als Zeichnerinnen erwarben. Nicht zuletzt, dass die Schau ein gutes Dutzend vergessener Künstlerinnen würdigt, lohnt die Fahrt an den Main und legt eine vertiefende kunsthistorische Aufarbeitung dieses in den 30ern jäh endenden weiblichen Aufbruchsjahrzehnts nahe.

Man mag einwenden, dass die Kuratorin die politischen Konnotationen der 20er-Jahre-Kunst überstrapaziert. Doch gelingt mittels dieser Zuspitzung, verteilt auf neun Stationen (Politik, Vergnügungsindustrie, Prostitution, die Neue Frau, Paragraf 2218 und 175, Porträts, Industrielandschaften, Sport, soziale Themen), ein konzentriertes Zeitpanorama. Was aber ragt künstlerisch heraus? Etwa die glänzenden Lithografien von Georg Scholz, die die Menschenverachtung der Nazis vorwegnehmen. Oder Karl Völkers gewaltige architektonische Fluchten und Carl Grossbergs Röhren und Gestänge feiernde Industriemalerei.

Vor allem erweist sich die Kunst der 20er als Hochzeit der Porträtmalerei: Rudolf Schlichters „Margot“ zeigt eine selbstbewusste, maskulin wirkende Prostituierte; Anton Räderscheidts „Selbstbildnis“ kombiniert den Maler mit dem unfertigen Bildnis des Torsos seiner Frau und hinterfragt Identitätszuschreibungen; Kurt Eichlers lässt sein „Mädchen im karierten Kleid“ den Blick abwenden und taucht es in eine sich verdüsternde Landschaft. Bilder, die gefangen nehmen. Spürt man doch, wie in diesen Gesichtern und Szenen nicht nur eine untergegangene Zeit kondensiert wird, sondern etwas darin fortlebt.

 Hainz Hamisch, Schwangere, 1932,  Museum der bildenden Künste, Leipzig | Bertram Kober (Punctum Leipzig)

Hainz Hamisch, Schwangere, 1932, Museum der bildenden Künste, Leipzig | Bertram Kober (Punctum Leipzig)

Foto: Museum der bildenden Künste, Leipzig | Bertram Kober (Punctum Leipzig)
 Christian Schads berühmter „Halb­akt“ (1929).

Christian Schads berühmter „Halb­akt“ (1929).

Foto: Von der Heydt-Museum Wuppertal, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal
 George Grosz’ Gemälde „Straßenszene (Kurfürstendamm)“ von 1925 zeigt einen mit Nichtachtung bestraften Kriegsversehrten. 1,5 Millionen Invalide bevölkerten Deutschlands damalige Straßen.

George Grosz’ Gemälde „Straßenszene (Kurfürstendamm)“ von 1925 zeigt einen mit Nichtachtung bestraften Kriegsversehrten. 1,5 Millionen Invalide bevölkerten Deutschlands damalige Straßen.

Foto: Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Museo Thyssen- Bornemisza
 Hainz Hamischs „Schwangere“ (1932).

Hainz Hamischs „Schwangere“ (1932).

Foto: bpk | Museum der bildenden Künst/Bertram Kober (Punctum Leipzig)
 Ein früher, feister Nazi: Georg Scholz’ Aquarell „Café (Hakenkreuzritter)“ von 1921.

Ein früher, feister Nazi: Georg Scholz’ Aquarell „Café (Hakenkreuzritter)“ von 1921.

Foto: Sammlung Merrill C. Berman, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Galerie Michael Hasenclever

Bis 25. Februar. Di, Fr bis So: 10-19 Uhr; Mi, Do: 10-22 Uhr. Katalog: 35 Euro.

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