Kino „Ein Gefühl, als würde ich untergehen“

Saarbrücken · Die deutsche Wahlamerikanerin über ihre Rolle in Fatih Akins NSU-Film „Aus dem Nichts“, Marlene Dietrich und den Fall Weinstein.

 Diane Kruger als Katja, die Mann und Kind verliert, in Akins Film.

Diane Kruger als Katja, die Mann und Kind verliert, in Akins Film.

Foto: Bombero / Warner

Deutschlands Hollywood-Export Diane Kruger wurde mit Filmen wie „Troja“, „Das Vermächtnis der Tempelritter“ und „Inglourious Basterds“ weltbekannt. Den bislang größten Erfolg feiert das Ex-Model aus dem niedersächsischen Algermissen nun mit einer deutschsprachigen Rolle. In Fatih Akins vom NSU-Prozess inspirierten Drama „Aus dem Nichts“ verkörpert die 41-jährige die junge Katja, deren Mann und Kind bei einem rechtsradikal motivierten Bombenanschlag sterben. Für ihre famose Leistung erhielt Kruger den Darstellerpreis der 70. Filmfestspiele von Cannes. Ein Gespräch über den Film, Pläne für eine Serie über Marlene Dietrich und starke Frauen in Hollywood.

Wie kam es dazu, dass Sie nach Deutschland zurückgekehrt sind, um mit Fatih Akin zu drehen?

KRUGER Ich habe wirklich lange auf eine Rolle aus Deutschland gehofft, aber ich bin seit 25 Jahren weg und kenne nur wenige Leute aus der hiesigen Filmbranche. Ich war 2012 in der Jury von Cannes, damals lief dort auch Fatihs Dokumentation „Müll im Garten Eden“. Ich bin auf seine Party gegangen, um ihn anzusprechen. Ich kannte seine Filme, weil man sie im Ausland auch sieht. Sie haben mich immer an Deutschland erinnert, gleichzeitig haben sie internationales Niveau. Als Fatih „Aus dem Nichts“ besetzte, hat er sich wohl an unsere Begegnung erinnert.

War es dann auch die schwierigste Rolle Ihres Lebens?

KRUGER Auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass ich für diese Rolle auf einer persönlichen Ebene bezahlt habe. Ich habe mich über sechs Monate lang vorbereitet. Habe fast 30 Familien kennengelernt, deren Angehörige Opfer eines brutalen Mordes wurden. Je mehr Zeit man mit ihnen verbringt, umso mehr trifft einen das auch persönlich. Diese Energie von Menschen, die alles verloren haben, gerade Mütter. Egal, ob der Film ein Erfolg ist oder nicht: Er hat mein Leben verändert.

Wie lange braucht es, um von solch intensiven Dreharbeiten Abstand zu gewinnen?

KRUGER Ich denke noch immer ständig daran und kann mir den Film nicht nochmal ansehen. Es hat Monate gedauert, einigermaßen aus der Geschichte herauszukommen. Mein Stiefvater ist während des Drehs gestorben. Mein Privatleben hat sich mit der Arbeit vermischt wie noch nie. Ich hatte ein Gefühl, als würde ich untergehen. Das passiert mir auch heute noch, wenn über einen neuen Anschlag berichtet wird. Immer geht es um die Täter und ihre Motive. Aber wir hören nie etwas über die Leute, die zurückbleiben, und wie sie damit fertig werden.

Hatten Sie im Ausland von den NSU-Morden erfahren?

KRUGER Nur bedingt, meistens durch meine Mutter. Im Ausland hat man nicht jeden Tag davon gehört. Unser Film handelt von Terror und Neonazis und er basiert auf einem wirklichen Prozess. Aber am Ende des Tages ist es ein Film über Trauer. Die Täter hätten auch Dschihadisten oder Amokläufer sein können. Eigentlich ist es ein Film über die Hinterbliebenen. Das hat mich unheimlich berührt. Eben weil man von ihnen eigentlich viel zu wenig hört.

Ihre Figur Katja beschreitet einen extremen Weg. Konnten Sie verstehen, wie sie dahin kommt?

KRUGER In der langen Zeit der Vorbereitung bin ich in Katjas Fußstapfen getreten. Aber der Film liefert keine Antwort darauf, wie man sich verhalten sollte. Ich hoffe, dass er die Frage an alle Zuschauer richtet: „Was hätten Sie an Katjas Stelle getan?“.

Haben sich Ihre Erwartungen an Fatih Akin erfüllt?

KRUGER Wir haben auf einer intellektuellen und künstlerischen Ebene die gleichen Instinkte und den gleichen Geschmack. Fatih kennt mich und sieht in mir das deutsche Street-Girl, das man im Ausland vielleicht nicht sieht, weil Modezeitschriften einen anderen Eindruck vermitteln. Wir fühlen uns beide ein bisschen wie Außenseiter in Deutschland, das hat uns verbunden.

Planen Sie eine neuerliche Zusammenarbeit mit Fatih Akin?

KRUGER Wir versuchen, eine Miniserie über Marlene Dietrich zu realisieren. Das wäre noch mal ein Traum für mich; und es sieht so aus, als ob es irgendwann mal passieren wird. Wir treffen gerade Autoren.

Glauben Sie, dass die Enthüllungen über den sexuellen Missbrauch in Hollywood Veränderungen bewirken werden? Oder wird es ein Sturm im Wasserglas bleiben?

KRUGER Es wird auf jeden Fall anders werden. Es wurde ein Raum geschaffen, in dem Frauen, aber auch Männer, offen sprechen können. Zuvor war es ein großes Tabu. Alle wussten, was passiert, aber keiner hat etwas gesagt. Das hat sich geändert. Dieser Sturm wird bleiben. In allen Bereichen haben Frauen Angst, ihren Job zu verlieren. Der Missbrauch von Macht ist allgegenwärtig, viele sind eingeschüchtert. Es hat lange gedauert, bis jemand gesagt hat, scheiß drauf, ich habe eh’ nichts mehr zu verlieren. Jetzt sage ich was.

Sie sind zunehmend häufig auch als Produzentin tätig?

KRUGER Ja. Momentan produziere ich eine Miniserie über Hedy Lamarr, die Vorproduktion hat begonnen. Sie war ein großer Filmstar, hat aber auch eine Funkfernsteuerung mit selbsttätig wechselnden Frequenzen für die Torpedos der Alliierten erfunden. Was Hedy Lamarr geleistet hat, wurde nie wirklich anerkannt. Es liegt mir nahe, Geschichten über Frauen zu erzählen, die wirklich etwas geleistet haben, aber noch nie eine Stimme hatten. Man schreibt diese Geschichten nicht für uns, wenn wir sie nicht selbst schreiben. Es ist eine sehr gute Zeit für Frauen. Es eröffnen sich viele Möglichkeiten, auch durch die ganzen Enthüllungen. Wir werden die Macht zurückerobern. Oder zum ersten Mal wirklich richtig.

 Diane Kruger in "Aus dem Nichts". Foto: Bombero / Warner

Diane Kruger in "Aus dem Nichts". Foto: Bombero / Warner

Foto: Bombero / Warner

„Aus dem Nichts“ läuft ab morgen in der Camera Zwo und im Cinestar (beide Saarbrücken)

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