Neu im Kino: „Welcome to Sodom“ „Der Sündenfall der westlichen Welt“

Saarbrücken · Der Regisseur Christian Krönes über seine bestürzende Dokumentation „Welcome to Sodom“, die in Saarbrücken startet.

 Die schwerste und gefährlichste Arbeit auf der Mülldeponie: Ein Mann verbrennt den Schrott, um an die Metalle zu kommen. Stoffe wie Quecksilber und Arsen sickern ungefiltert in den Boden.

Die schwerste und gefährlichste Arbeit auf der Mülldeponie: Ein Mann verbrennt den Schrott, um an die Metalle zu kommen. Stoffe wie Quecksilber und Arsen sickern ungefiltert in den Boden.

Europas größte Müllhalde liegt mitten in Afrika: die 16 Quadratkilometer große Deponie Agbogbloshie in Ghana. Dort zerlegen 6000 Menschen den Elektroschrott, der containerweise aus Europa und Amerika abgeladen wird. Rohstoffe wie Kupfer, Aluminium, Zink und Eisen werden zur Wiederverwertung verkauft und landen wieder in den Herstellerländern. Giftige Rohstoffe wie Blei, Quecksilber und Arsen gelangen in Boden und Grundwasser. Die österreichischen Regisseure Christian Krönes und Florian Weigensamer zeigen in ihrer Dokumentation „Welcome to Sodom“ das Leben dort – zermürbend, gefährlich und trotzdem hoffnungsvoll.

Die Müllhalde Agbogbloshie in Ghana gilt als einer der giftigsten Orte der Welt – wie hoch ist dort die Lebenserwartung?

KRÖNES 30 bis 35 Jahre. Es gibt nur wenige ältere Menschen dort. Der Fluss ist eine stinkende Kloake und sehr gefürchtet – wenn man mit dem Wasser in Berührung kommt, zieht man sich schwerste chemische Verletzungen zu. Und während der Regenzeit, wenn alles noch stärker unterspült ist, ist es noch gefährlicher. Man hat uns erzählt, dass Menschen da einfach versinken.

Die Bewohner nennen Agbogbloshie Sodom, wie die Stadt aus der biblischen Erzählung, die Gott wegen ihrer Sündhaftigkeit mit Feuer und Schwefel vernichtet. Aber den Sündenfall hier begehen ja nicht die Menschen, die dort arbeiten?

KRÖNES Nein, es ist der Sündenfall der westlichen Welt, der aber in Afrika stattfindet. Es werden die Falschen bestraft. Die Menschen recyclen notgedrungen, was die Erste Welt wegwirft. Früher war der Ort eine paradiesische Lagune, ein Vogelbrutgebiet. Heute ist es einer der verseuchtesten Landstriche.

Und wer von dort nach Europa flüchtet und diese Flucht überlebt, ist hier herzlich unwillkommen.

KRÖNES Deshalb hoffe ich, dass der Film Menschen zum Nachdenken über die Haltung in Europa bewegt, was die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge betrifft. Ich würde mir wünschen, dass etwa unser Kanzler Kurz in Österreich oder die Söders und Seehofers in Deutschland diesen Ort einmal besuchen. Sie würden ihre Haltung vielleicht überdenken.

Ist das Recyclen des Elektroschrotts nicht verboten?

KRÖNES Nein, nach der Baseler Konvention ist nur der Export der alten Geräte verboten, aber es gibt natürlich überall Graubereiche und der Export von Elektroschrott ist zwischenzeitlich ein globales Geschäft. Allein aus Europa kommen pro Jahr 250 000 Tonnen Elektroschrott an diesen Ort, aber auch aus den USA und aus Kanada.

Wenn man es nun zynisch zuspitzt, schafft unser Müll Arbeit in Afrika.

KRÖNES Ja, aus afrikanischer Sicht können wir gar nicht genug Schrott schicken – das ist die Basis des Geschäfts. Agbogbloshie ist tatsächlich ein Ort voller Hoffnungen. Er ist mittlerweile so berühmt, dass viele Menschen von weither dahinkommen, in der Hoffnung auf Arbeit – und die finden sie auch. Das besonders Perfide ist, dass dieses Geschäft sich aus einem Entwicklungshilfeprojekt Anfang der 2000er Jahre entwickelt hat, als gebrauchte Computer für Schulen dorthin geschickt wurden. Internationale Geschäftemacher, aus Europa wie aus Asien, haben erkannt, dass man mit Schrott ein Multimillionen-Business aufziehen kann. Der Gipfel des Zynismus ist, dass die Menschen in Afrika unseren Müll erst einmal kaufen müssen. Im Film sieht man ja vier PC-Monitore auf einem Karren – das repräsentiert einen Gegenwert von 30 Euro, was einem halben bis ganzen Monatslohn entspricht. Die Menschen legen das vor und riskieren sehr viel, in der Hoffnung, dass sie beim Ausschlachten der Geräte täglich 50 Cent oder einen Euro Profit machen, der ihnen dann wieder einen Tag Überleben sichert.

Haben sich die Menschen auf der Deponie gerne filmen lassen? Ist man da als Regisseur nicht der Repräsentant einer reichen und unendlich fernen Region?

KRÖNES Es kommen immer wieder Journalisten dorthin – kein Wunder, man kann da ja schnell Geschichten und spektakuläre Bilder finden. Deshalb fühlen sich die Menschen ausgebeutet und glauben, die Journalisten hätten mit ihrer Geschichte viel Geld verdient. Das hat viel Misstrauen gegenüber Weißen geschürt. Wir haben erklärt, dass wir nicht für eine schnelle Geschichte bei ihnen sind. Das haben sie uns erstmal nicht geglaubt, aber nach ein paar Wochen hat sich doch Vertrauen aufgebaut.

Im Film gibt es eine Hip-Hop-Einlage mit Tanz und eigener Musik auf der Deponie – wie kam es dazu?

KRÖNES Das war eine große Überraschung. Der erste Eindruck dort ist ja der einer Endzeitstimmung wie aus einem Science-Fiction-Film. Wenn man aber tiefer blickt, findet man eine funktionierende Gesellschaft, wenn auch auf wirtschaftlich niedrigstem Niveau. Es gibt einen Friseur, ein Fitness-Studio mit Geräten aus LKW-Achsen, einen Juwelier, der aus Aluminium, Eisen und Kupfer Armreife fertigt. Das Überraschendste für uns war, dass jemand aus Schrott ein Tonstudio baut. Der Rapper ist ein Feuerarbeiter, der Schrott verbrennt, um an die Metalle zu kommen. Das ist die gefährlichste und giftigste Arbeit, und sein weniges Geld steckt der Mann in ein Tonstudio, um Musik aufnehmen zu können.

Sehen Sie einen Ausweg aus der katastrophalen Situation, dass selbst eine toxische Müllkippe besser ist als nichts?

KRÖNES Das Problem ist ein globales, für das es nur globale Lösungen geben kann. Es würde schon ausreichen, diesen Kontinent nicht länger auszubeuten. Unsere Wirtschaft basiert auf der Ausbeutung dieser Region. Ghana hat Ölfelder und Edelmetallminen – doch die gehören alle westlichen, vornehmlich chinesischen Firmen. Es gibt chinesische Hotels für die chinesischen Arbeiter, die von Air China eingeflogen werden und in den Minen arbeiten. Für die Ghanaer gibt es keine Arbeit. Und was abgebaut wird, verlässt das Land, geht sofort in den internationalen Wirtschaftskreislauf.

Eine Art Kolonialisierung nach der Kolonialzeit?

KRÖNES Sicher, das ist deren moderne Form. Erschreckend ist auch, dass sich jeder dieser ärmsten Arbeiter als Geschäftsmann empfindet. Jeder glaubt, am großen Kuchen irgendwie teilhaben zu können. Der große Kuchen ist dieser giftige Ort. Das ist die Haltung, die die Kolonialmächte zurück gelassen haben.

Die Regierung in Ihrer Heimat Österreich ist mit dem ÖVP-FPÖ-Bündnis stark nach rechts gerückt. Wird das die Förderung von kritischen politischen Dokumentationen wie die Ihre erschweren?

KRÖNES Von der politischen Wende sind wir bisher verschont geblieben. Das österreichische Film Institut ist der wichtigste Förderpartner für Dokumentarfilme und wir hoffen natürlich, dass diese Fördergelder erhalten bleiben und nicht den gerade populären Einsparungen zum Opfer fallen. Wir wissen, dass wir mit unseren Themen nicht auf der politischen Linie liegen. Aber es ist unsere Aufgabe als Filmemacher, dass wir Menschen mit unbequemen Themen und Fragen konfrontieren. „Welcome to Sodom“, der in Österreich Ende November startet, ergreift auch Partei für die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge. Die politischen Reaktionen kann ich nicht abschätzen, aber ich könnte mir generell vorstellen, dass in Österreich derartige Themen in Zukunft noch schwieriger zu produzieren sind als vorher schon. Die lokalen Filmförderungen unterstützen schon immer am liebsten touristisch relevante Projekte: Man hätte am liebsten jodelnde Sängerknaben, die auf Lippizanern durch Schönbrunn reiten und mit Mozartkugeln jonglieren.

 Filmemacher und Produzent Christian Krönes, einer der beiden Regisseure von „Welcome to  Sodom“.

Filmemacher und Produzent Christian Krönes, einer der beiden Regisseure von „Welcome to Sodom“.

„Welcome to Sodom“ läuft im Saarbrücker Kino Achteinhalb: morgen um 20 Uhr, dann von Montag bis Mittwoch (mittwochs schon um 17.30 Uhr). Nach der Vorstellung am Montag gibt es eine Diskussion mit Experten. Informationen unter www.kinoachteinhalb.de und
www.welcome-to-sodom.de

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