Die Welt hinter den schönen Blumen

Wien · Viel mehr als nur Landschaften, Knochen und Blumen, die gerne erotisch gedeutet werden: Das Bank Austria Kunstforum in Wien bietet mit der größten Georgia-O'Keeffe-Ausstellung in Europa neue Erkenntnisse zu Amerikas beliebtester Malerin.

 Der amerikanische Fotograf Myron Wood nahm Georgia O'Keeffe (1887-1986) im Jahr 1980 auf, vor einem Gemälde und einer Skulptur. Foto: Pikes Peak Library District

Der amerikanische Fotograf Myron Wood nahm Georgia O'Keeffe (1887-1986) im Jahr 1980 auf, vor einem Gemälde und einer Skulptur. Foto: Pikes Peak Library District

Foto: Pikes Peak Library District

Erstmals ausgestellt wurde sie vor genau hundert Jahren von dem amerikanischen Fotografen und Galeristen Alfred Stieglitz. 1916 zeigte der in seiner Galerie 291 in New York frühe Kohlezeichnungen der damals 29-jährigen Georgia O'Keeffe (1887-1986). Die beiden wurden ein Paar, heirateten 1924 und befruchteten sich gegenseitig in ihrem jeweiligen Werk. Der 23 Jahre ältere Fotograf Stieglitz machte Aufnahmen von der sexuell emanzipierten, androgynen jungen Malerin; Georgia O'Keeffe wiederum trat in ihren frühen Stadtgemälden von New York, aber auch in abstrakten Aquarellen in einen fruchtbaren Dialog mit anderen Fotografen um Stieglitz wie Paul Strand oder Edward Weston.

Im Kunstforum Wien ist jetzt die bisher größte Retrospektive von Georgia O'Keeffe außerhalb der USA zu sehen - zuvor war sie in abgewandelter Form in der Tate Modern in London zu Gast. Die Ausstellung umfasst 85 Werke der Malerin aus sieben Jahrzehnten sowie 60 damit korrespondierende Werke von Fotografen. Sie orientiert sich an den Orten, an denen O'Keeffe vorwiegend gearbeitet hat: New York in den frühen Jahren, Lake George in Upstate New York, wo die Familie ihres Mannes einen Landsitz besaß, vor allem aber die Wüste New Mexicos, wohin sich die Jahrhundertmalerin in ihren letzten Lebensjahrzehnten zurückzog. Hier entstanden beeindruckende Landschaftsgemälde, die das phänomenale Licht der Wüste und die physische Präsenz der Berge einfingen, aber auch die ausgeblichenen Knochen der aufgrund der Dürre verendeten Tiere vor flimmernden Wüstenfelsen ins Bild rückten.

Berühmt geworden ist Georgia O'Keeffe vor allem mit ihren großformatigen Blumen- und Blütenstillleben. Gerade vor dem Hintergrund des in den USA stark rezipierten Werks von Sigmund Freud, sind diese Bilder häufig erotisch ausgedeutet worden. Dieser verkürzten Lesart will die Ausstellung jedoch entgegenwirken. Georgia O'Keeffe selbst sagte dazu: "Wenn die Leute erotische Symbole in meine Bilder hineinlesen, dann sprechen sie eigentlich von ihren eigenen Angelegenheiten." Die Kuratorin der Wiener Schau, Heike Eipeldauer, stellt fest: "O'Keeffe war sicher zur richtigen Zeit am richtigen Ort." Sie sieht das Werk der Malerin als genuin amerikanische Kunst an, in Abgrenzung zur europäischen Tradition. Vielmehr, sagt die Expertin, kann O'Keeffe als Vorreiterin der Pop Art angesehen werden. In abstrakten Werken wie "Black Door with Red" von 1954 lassen sich aber auch Verbindungen zu Barnett Newman und Mark Rothko erkennen. Auch die Malerin Agnes Martin sah in der stets in Männerkleidung und mit strenger Hochsteckfrisur auftretenden O'Keeffe eine Seelenverwandte. In dem Werk entwickelte sich viel parallel. Es gibt jedoch keinen linearen Fortschritt, was Kritiker wie den einflussreichen Clement Greenberg immer wieder irritierte.

Dennoch steht sie wie keine andere Malerin vor ihr für eine amerikanische Ikonografie, die sich von europäischen Vorbildern weitgehend emanzipiert hat. "Sie malte geologische Formationen, die die Abstraktion schon in ihrem Motiv trugen", sagt Heike Eipeldauer. Die amerikanische Moderne ist in der Landschaft verortet. Daher ist eine besondere Stärke der Schau die Betonung ihres Spätwerks mit grandiosen Landschaftsdarstellungen, gespickt mit kulturellen Zeichen wie Kreuzen und Bergen, die von der indigenen Bevölkerung als heilig verehrt werden.

Nach dem Tod von Alfred Stieglitz 1946 zog sich Georgia O'Keeffe ganz nach New Mexico zurück. Sie bewohnte ein modernistisch eingerichtetes Haus in der Wüste, wo sie beim Blick aus den Panoramafenstern die authentische amerikanische Landschaft des Südwestens aus erster Hand erleben konnte. Die unendliche Weite der Landschaft prägte ihr Werk. Doch auch Eindrücke ihrer vielen Flugreisen auf alle Kontinente flossen in ihre Malerei mit ein.

Ein besonderer Höhepunkt der Wiener Schau stellt zudem das aktuell teuerste Bild einer weiblichen Malerin dar: Das Blumenstillleben "Stechapfel/Weiße Blüte Nr. 1" aus dem Jahr 1932 wechselte 2014 bei Sotheby's in New York für stolze 44,4 Millionen Dollar den Besitzer.

 Keine Blume in Sicht: das abstrakte Gemälde „Black Door with Red“ aus dem Jahr 1954. Foto: Georgia O'Keeffe Museum

Keine Blume in Sicht: das abstrakte Gemälde „Black Door with Red“ aus dem Jahr 1954. Foto: Georgia O'Keeffe Museum

Foto: Georgia O'Keeffe Museum
 Das Stillleben „Stechapfel/Weiße Blüte Nr. 1“ (1932) wurde 2014 für 44,4 Millionen Dollar verkauft. Foto: Georgia O' Keeffe Museum/Edward C. Robinson III.

Das Stillleben „Stechapfel/Weiße Blüte Nr. 1“ (1932) wurde 2014 für 44,4 Millionen Dollar verkauft. Foto: Georgia O' Keeffe Museum/Edward C. Robinson III.

Foto: Georgia O' Keeffe Museum/Edward C. Robinson III.

Bis 26. März 2017. Infos: www.kunstforumwien.at

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