Die Vereinigung von Grazie und Mechanik

Metz · Auf 1200 Quadratmetern vereint das Metzer Centre Pompidou die kunsthistorisch oft getrennten Bereiche Malerei und Bühnenkunst im Werk von Oskar Schlemmer – eine sehenswerte, ergiebige Hommage.

 Schlemmers Figur ,,Der Abstrakte” aus dem Triadischen Ballett. (Rekonstruktion). Fotos: cis/Fotoarchiv C. Raman Schlemmer/Centre Pompidou

Schlemmers Figur ,,Der Abstrakte” aus dem Triadischen Ballett. (Rekonstruktion). Fotos: cis/Fotoarchiv C. Raman Schlemmer/Centre Pompidou

Er war ein Schau-Spieler, der in der Kunst die dritte Dimension suchte: den Raum als Vereinigung von Form, Farbe, Licht und Bewegung. Das erklärt, warum sich Oskar Schlemmer am Bauhaus, wo er von 1920 bis 1929 lehrte, der Bühnenkunst und dem Tanz, "dem mechanisierten Ballett", wie er es nannte, verschrieb. Und so wirken denn auch seine Bühnen-Choreografien, die im Zentrum einer ihm nun in Metz ausgerichteten Ausstellung unter dem Titel "Oskar Schlemmer: Tänzermensch" stehen, wie Raum-Übersetzungen von Gemälden Kandinskys und Mondrians. Ob Schlemmers "Triadisches Ballett", ob seine "Stabtänze" oder seine am Konstruktivismus geschulten Figurinen: Allesamt sind sie dreidimensionale Abstraktionen auf dem Weg zur reinen, idealen Farb- und Form-Komposition.

Auf 1200 Quadratmetern ausgebreitet, setzt die von Schlemmers Enkel Raman Schlemmer und Pompidou-Direktorin Emma Lavigne kuratierte Schau selbst gehörig auf Raumwirkung: Weder Kabinette noch Stellwände unterteilen die Galerie 2 im 2. Obergeschoss. Eine Präsentationsdidaktik, die symbolisieren soll, dass Malerei und Bühnenkunst bei Schlemmer untrennbar sind, da beide gleichermaßen die menschliche Figur als Maß aller Dinge nehmen.

Anders als in der großen Schlemmer-Retrospektive in der Stuttgarter Staatsgalerie 2014/2015 - sie war die erste Werkschau überhaupt seit 1977 aufgrund jahrzehntelanger Urheberrechtsstreitigkeiten zwischen den Schlemmer-Erben - stehen in Metz dessen performative und choreografische Experimente im Fokus. Auch wenn das aus konservatorischen Gründen nicht aus Stuttgart auf die Reise geschickte "Triadische Ballett" in Metz fehlt, so hat die Schau auch ohne seine berühmten, aus Abstraktionen menschlicher Körperformen bestehenden Tanzkostüme genug künstlerisches Potenzial. Zu sehen sind neben zwei originalen Figurinen mehrere aufwändige Nachbildungen seiner geometrischen Kostümkörper, eine Rekonstruktion seines hinreißenden "Reifentanzes" oder die einzige enthaltene historische Filmsequenz von 1926. Sie zeigt, wie Schlemmer an der Seite zweier anderer Tänzer im Sinne Kleists in bemerkenswerter Vereinigung von Mechanik und Grazie die künstliche Anmut der Marionette zum Ideal erhob. Schon hier wird deutlich, weshalb sein 1916 in Stuttgart uraufgeführtes Triadisches Ballett als Antithese zum expressiven Ausdruckstanz Mary Wigmans gilt: Nicht Selbstentäußerung war hier das Ziel, sondern eine raumgeometrische Vergegenwärtigung von Formidealen. Schlemmer schuf Raumskulpturen, die sukzessive Dürers und Leonardos Proportionsstudien in dritter Ebene weiterdachten. Diverse Entwurfszeichnungen, Achsenkreuze aus horizontalen und vertikalen Linien feiernd, und erlesene Blätter aus Schlemmers "Skizzenbuch" illustrieren die Suche nach universellen Mustern der menschlichen Figur.

In Form einer Petersburger Hängung breitet Kurator Raman Schlemmer dazu an einer Längswand Bezüge zu Klee oder Kandinsky wie auch Anleihen der Bauhaus-Lehre Schlemmers im Werk seiner Schüler aus. Unterm Strich eine sinnfällige Hommage, die den Geist des Bauhauses atmet, allerdings nur ahnungsweise Schlemmers Leben, etwa seine Verarmung, spiegelt: Da sein wahrer Ruhm erst posthum einsetzte, benutzte er, obwohl er meist alles Geld in seine Figurinen steckte, zeitlebens minderwertige Materialien. Unter den Nazis, denen er sich vergeblich andiente, ehe sie ihn künstlerisch kaltstellten, verdingte sich Schlemmer später als Angestellter eines Stuttgarter Malerbetriebs. Und pinselte Tarnanstriche an Militäranlagen. Welche Demütigung.

Bis 16. Januar; Mo, Mi, Do: 10-18 Uhr, Fr-So: 10 bis 19 Uhr. (ab 1.11. dann Fr-So: 10-18 Uhr).

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