Die Schmerzensfrau: Verena Luekens Romandebüt

Saarbrücken · New York in der Sommerglut ist eine Tortur. Die namenlose Erzählerin in diesem Roman verbringt dort einige Zeit im Appartement von Freunden. Sie liest James Salter: "Beißendes Licht, brüllende Hitze, eine erbärmliche Zeit, um zu sterben." Im selben Moment weiß sie, dass sie gemeint ist.

Der Krebs, der vor 15 Jahren ausbrach, ist zum dritten Mal wiedergekehrt.

Ein Tumor in der Lunge, er muss rausgeschnitten werden, eine Chirurgin "ohne Charisma, mit Autorität und eisernen Händen" besorgt das. Danach geht sie nach Deutschland zurück, fühlt sich fremd. Das Problem ist seelisch noch längst nicht gelöst, es gibt keine Antwort auf die Frage: Warum gerade ich?

Verena Lueken, 60, ist Filmkritikerin der FAZ, sie war Kulturkorrespondentin in New York, ihre Geschichte hat autobiografische Wurzeln. "Alles zählt" ist Programm: Eine "Nummernrevue von Ereignissen und Eindrücken" spult der Roman in Rückkopplungsschleifen ab. Die Familie, die liebevolle Mutter, die Kindheit mit mehreren Vätern. Geschwister, Lebenspartner, die Freundin Ellen, Witwe von Harold Brodkey, andere, die ihren Lebensweg kreuzten. Und natürlich Film und Literatur als Trostpotenzial. Aber auch der 11. September, der Hass seither in der Welt, die Gewalt.

Erinnerungen werden in Luekens Debüt durch Gedanken verdrängt, aus der Rückschau wird auch eine Vorschau. Luekens Sprache ist drastisch. Die Schmerzen sind wie scharfe Klingen in der Brust, "als wollten sie die Brustwarzen herausschälen und nach innen und unten ziehen". Sie hat Angst, "lebensexterritorial" zu werden, unter Lebenden dem Tod geweiht. Erst als sie nach Myanmar flieht, um zur Ruhe zu kommen, richtet sie ein junger Arzt mit seiner schwierigen Lebensgeschichte auf. Da ist sie nicht mehr allein - ein reifes Debüt.Verena Lueken: Alles zählt. Kiepenheuer & Witsch, 208 Seiten, 18,99 €

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