Völklingen „Let’s dance“ zwischen Gebläsemaschinen

Völklingen · Der neue Chef des Völklinger Weltkulturerbes stellt 2021 Musikvideos aus. Ein Blick auf Ralf Beils erstes Programm.

 Björks Musikvideo „All is full of love“ von 1999. Es ist der Teil der Schau „The World of Music Video“, die ab 14. November in der Völklinger Gebläsehalle gezeigt wird.

Björks Musikvideo „All is full of love“ von 1999. Es ist der Teil der Schau „The World of Music Video“, die ab 14. November in der Völklinger Gebläsehalle gezeigt wird.

Foto: WKE

Das Völklinger Weltkulturerbe will keine Insel mehr sein. „Ich verstehe die Hütte nicht mehr insular“, sagt Ralf Beil, seit Mai 2020 Generaldirektor der Hütte, und beschreibt damit den augenfälligsten Bruch mit der Ära seines Vorgängers Meinrad Maria Grewenig. Der war berühmt-berüchtigt für seine Abschottungspolitik gegenüber hiesigen Kulturakteuren. Für letztere lässt Beil nun die Zugbrücken herunter, stellt der Musikhochschule oder dem Staatstheater das Top-Label des Weltkulturerbes und dessen Räume für eigene Reihen zur Verfügung.

Kostenlos, aber nicht uneigennützig, denn das Ergebnis ist ein deutlich ausgeweitetes Sommer-Outdoor-Angebot, das mehr Zuschauer-Frequenz bringt: „Das Weltkulturerbe hat nicht wirklich viel Geld übrig, um Programm zu machen“, sagt Beil, „wir können nicht einfach mal so die Staatskapelle Dresden einladen“.  Der Kulturmanager legt Wert darauf, dass die Hütte nicht als „Vermieter einer Event-Location“ wahr genommen wird: „Wir gehen Partnerschaften ein, von denen (...) beide etwas haben.“ Die Programme entstünden in engem Austausch mit dem WKE. „Mir geht es nicht um regionale Nabelschau“, sagt Beil,  „wir haben hier schlicht starke Akteure, die wir sichtbar machen können.“  Die Kultusministerin darf frohlocken: Damit folgt der Neue in Völklingen  eins zu eins deren kulturpolitischen Vorgaben in Sachen Synergie und Vernetzung. Nebeneffekt: Sowas spart  Kosten und beglückt die hiesige Klientel.  

Und was steht sonst noch an? Als neues Format führt Beil das „Future Lab“ ein, ein Ding zwischen Installation und Diskussionsforum. Das „Future Lab 1“ überlässt Beil dem Projektteam der „IBA der Großregion“ (die SZ berichtete), dann folgt noch 2021 die zweite Ausgabe mit der Kunsthochschule. Selbst kuratorisch tätig wird Beil an zwei Stellen und setzt damit Traditionslinien fort. Für die in der Hütte seit Jahren gepflegte Gattung Fotografie engagiert er Michael Kerstgens. Ab April sieht man „1986. Zurück in die Zukunft“; für Beil sind die Alltags-Fotografien des Künstlers – er ist in Darmstadt Professor für Fotografie –  ein „wunderbares Zeitzeugnis“ des Jahres, in dem die Völklinger Hütte still gelegt wurde: „Überall in Deutschland wird in dieser Zeit der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungs- und Freizeitgesellschaft spürbar, für den die Schließung der Völklinger Hütte exemplarisch steht. Genau diesen Wandel hat Kerstgens fotografiert.“

 Das eigentliche Großprojekt kommt erst im Herbst, wie üblich in der Gebläsehalle: „The World of Music Video“.  Hier sollen sich Beils inszenatorisches Geschick und seine Linie erstmals in Gänze offenbaren. „Wir werden versuchen, das Ganze so immateriell wie möglich zu gestalten.“ Beil verspricht eine „eigene Choreographie“ für die 60 bis 100 Monitore und Leinwände, von denen einige bis zu vier Meter breit sein werden. Präsentiert werden exemplarische Musikvideos zwischen 1975  und heute, die besten sind laut Beil  „Gesamtkunstwerke, mit Zitaten aus Kunst, Film und Literatur sowie Anspielungen auf Weltgeschichte und Zeitgeschehen“. Die Gebläsehalle ist für ihn „ein starker, richtiger Ort, um Musik auszustellen, dort funktionieren bewegte Bilder. Ich habe mich übrigens unter anderem mit diesem Ausstellungsthema für die Stelle des Generaldirektors beworben.“ Beil freut sich auf die „ungeheure Energie“, die eine solche Ausstellung ausstrahlen und auf die Lebensfreude, die sie wecken kann. Da die Besucher mit Multimedia-Guides (Kopfhörern) ausgestattet werden, könne die Musik so laut dröhnen, wie jeder sie halt haben wolle, und zwischen den Maschinen sei genügend Platz, um „zu tanzen und nachzudenken“, meint der Generaldirektor. Er hat’s schon mal erlebt. Als Direktor am Institut Mathildenhöhe in Darmstadt realisierte er die überregional beachtete Ausstellung „A House Full of Music. Strategien in Musik und Kunst“. Das Thema Musikvideo nennt er „eigentlich uferlos“, doch davor hat er keine Manschetten, im Gegenteil. Das ganz große,  spartenübergreifende Panorama ist sein Ding. 2008 nahm Beil sozusagen ganz „Russland um 1900“ in den Blick, die „Kunst und Kultur im Reich des letzten Zaren“, und den Expressionismus erforschte er nicht als Kunst-Epoche, sondern als „Gesamtkunstwerk“ aus Kunst, Film, Literatur, Theater, Tanz und Architektur.

 In Völklingen dabei: Lady Gaga featuring Beyoncé („Telephone“), ein Video von 2010.

In Völklingen dabei: Lady Gaga featuring Beyoncé („Telephone“), ein Video von 2010.

Foto: WKE
 Rollerdisko 1986, eine Fotografie von Michael Kerstgens, die das Lebensgefühl des Jahres spiegelt, in dem die Hütte still gelegt wurde.

Rollerdisko 1986, eine Fotografie von Michael Kerstgens, die das Lebensgefühl des Jahres spiegelt, in dem die Hütte still gelegt wurde.

Foto: WKE/Michael Kerstgens
 Teil der Unterhaltungsindustrie: The Carters, (Beyoncé feat. Jay-Z, Apes, 2018).

Teil der Unterhaltungsindustrie: The Carters, (Beyoncé feat. Jay-Z, Apes, 2018).

Foto: WKE
 Bis 27. Juni geplant: „ Mon Trésor“ in der Gebläsehalle der Völklinger Hütte.

Bis 27. Juni geplant: „ Mon Trésor“ in der Gebläsehalle der Völklinger Hütte.

Foto: WKE/Oliver Dietze
 Ralf Beil, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.

Ralf Beil, Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.

Foto: Oliver Dietze

Doch was ist mit dem „Genius loci“, was haben Musikvideos mit Schwerindustrie zu schaffen? „Wir zeigen in einer Weihehalle  der Schwerindustrie Produktionen heutiger Unterhaltungsindustrie“, so Beil. „Es wäre doch sehr langweilig, wenn man das Thema Arbeit immer nur eins zu eins spiegeln würde.“  Für sein erstes Jahr hätte er ursprünglich ein Projekt zur Geschichte der Hütte in Vorbereitung gehabt: „Corona machte mir einen Strich durch die Rechnung, wir kommen nicht so schnell an das Material in den Archiven ran. Und was die Themenauswahl angeht: Ich bin ein freier Mensch. Nur stark und intensiv soll es sein.“

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