Literatur: ein neuer Berlin-Roman „Die Mechanismen des Coolnesskalifats“

Saarbrücken · Leander Steinkopfs „Stadt der Feen und Wünsche“ hinterfragt die notorische Stilisierung Berlins als Nabel der Welt.

 Cover von Leander Steinkopfs Erzählung "Stadt der Feen und Wünsche"

Cover von Leander Steinkopfs Erzählung "Stadt der Feen und Wünsche"

Foto: Hanser Berlin

Gegen Ende dieser kurzen, pointierten Erzählung, die erstaunlich viel an heutigem Lebensgefühl einfängt, geht es wieder, wie so oft, um Berlin – ihre eigentliche Protagonistin. Berlin sei eine Stadt, in der alle dort auf Glückssuche Gehenden in Wahrheit nicht nach sich selbst suchten, „sondern nach den neuesten Regeln für das Sein“. Als sei die Anwesenheit in dieser Stadt bereits ein Ausweis von Bedeutsamkeit – eine Art lebenskünstlerischer Avantgarde-Ritterschlag (Abscannen alles Angesagten inklusive).

Man staunt, wieviel Zynismus der gerade mal 32-jährige Autor (und freie Journalist) Leander Steinkopf in seinem Debüt versprüht. In „Stadt der Feen und Wünsche“ rechnet er mit notorischen Berlin-Klischees ab. Demaskiert er die Stadt doch als Kollektiv-Hochburg der Hipster, der Nach-68er und all der Heerscharen selbsternannter Künstler, die dort ihre Nabelschauen betreiben. „Individualität ist hier vorauseilender Gehorsam gegenüber den Mechanismen des Coolnesskalifats“, lässt der selbst inzwischen im sehr viel bürgerlicheren München lebende Steinkopf sein Erzähler-Ich resümieren. Die Hauptstadt, so jedenfalls sieht es sein desillusionierter Stadt-Flaneur, sei die Großbühne einer sorgsam gehüteten Lebenslüge. In Wahrheit kultiviere Berlin genauso viel Mittelmaß wie jede andere Stadt, doch wagten vornehmlich dort sesshaft gewordene Pilger und Touristen, die an den Puls der Zeit anzureisen wähnen, sich dies nicht einzugestehen: „Sie wollen nicht klein sein in dieser großen Stadt.“

Beließe es Steinkopfs Erzählung nur beim Hinterfragen der spätestens seit Wowereits Zeiten („Berlin ist sexy“) geläufigen Berlin-Images, wäre man schnell fertig mit diesem Buch. Doch steckt mehr darin. Gleich zu Anfang wirft Steinkopf am Beispiel eines verkommenen Spielplatzes etwa ein Schlaglicht auf das Kosmetikhafte heutiger Politik: „Die alten Menschen finden keinen Platz mehr, denn auf jeder Sitzgelegenheit liegt ein Schatten Urin. Wenn dann nur noch die Trinker kommen und danach die Flaschensammler, dann ist das ökologische Gleichgewicht wieder hergestellt, dann soll der nächste Politiker kommen und versuchen, etwas zu ändern.“ Es ist kein neoliberaler Dandy, der hier spricht – Stein­kopfs alter ego fühlt sich genauso unangepasst und hip wie all die anderen hauptstädtschen Freiheitsapostel. Doch blickt er selbstkritischer hinter ihre Fassaden. Räsoniert über die Gefallssucht all der Antibürger vom Dienst, die Beziehungen nurmehr konsumieren und mit ihrer Zunge mechanisch im Mund anderer „herumwühlen, wie ein Bagger, der eine Grube aushebt“. Hinterfragt all die Typen, die sich gewohnheitsmäßig „mit Kühle gegen Enttäuschung“ rüsten. Wie Steinkopf die damit einhergehenden, längst überall beheimateten sozialen Rituale sprachlich einfängt, das offenbart einiges an literarischem Talent.

Auch insoweit taugt dieses Debüt also durchaus als Bestandsaufnahme heutiger Gefühlslagen. Männer, die hinter verklebten Schaufenstern von Automatenhallen das Tageslicht „verspielen“; Radfahrer, die sich „mit ihrem hochgezüchteten Individualismus“ für bessere Menschen halten; empathieerprobte Gutmenschen, die mit ihrem Allverständnis noch unseren letzten Rest Eigenheit zur Massenware erklären, „wie sie in jedem Kneipengespräch verramscht wird“ – Steinkopf spickt seine Zeiterkundung mit vielen solcher treffenden Beobachtungen. Ohne (zum Glück) seine Hauptfigur moralisch zu überhöhen: Sie spielt genauso Rollen wie wir alle. Und weiß genausowenig, wie man mit Ehrlichkeit heute durchkommen soll. Eines aber weiß Steinkopfs Gewährsmann: Er will nicht länger immer neue Sozial-, Dress- und Sprachcodes kopieren. Er wünscht sich ein Ende der ständigen Verstellungen, Ironien, Neuerfindungen, „als wäre die Wirklichkeit mit Photoshop bearbeitet“.

Anders als Simon Strauss, der in seinem maßlos überschätzten Debüt „Sieben Nächte“ glaubte, den heutigen Wertrelativismus mit maximaler Intensität kurieren zu müssen, propagiert Steinkopfs Abrechnung mit unseren im Zeichen eines maßlosen Hedonismus’ durchkonfektionierten Lebensentwürfen zuletzt eher das Gegenteil: Leute, nehmt euch nicht so wichtig, sagt er uns. Doch werdet die, die ihr seid – auch wenn dies fast ein bisschen altklug klingt.

Leander Steinkopf: Stadt der Feen und Wünsche. Hanser Berlin, 112 Seiten, 16 €.

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