Frankfurt am Main 1200 faszinierende Seiten von der Literaturnobelpreisträgerin

Frankfurt am Main · Die Schriftstellerin Olga Tokarczuk legt die „Die Jakobsbücher“ vor. Für die Kritik ist das Werk ein „Buch wie ein Monumentalgemälde“.

Die Literatin Olga Tokarczuk legt die „Die Jakobsbücher“ vor.
Foto: Bülent Gündüz

Sie sei in ihrem Schaffen am meisten geprägt von der multikulturellen Tradition Polens, finde dort ihre Vorbilder, sagte Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk im Oktober auf der Frankfurter Buchmesse. Erst wenige Tage zuvor hatte sie, auf Lesereise für ihr gerade auf Deutsch erschienenes Buch „Die Jakobsbücher“, erfahren, dass sie den Literaturnobelpreis erhält. Und gerade diese multikulturelle, multiethnische und multireligiöse Welt ihres literarischen Vorbilds, des polnischen Schriftstellers Bruno Schulz, bestimmt auch „Die Jakobsbücher.“

Dieses Buch ist keine leichte Kost – buchstäblich. Mit fast 1200 Seiten Umfang, mit vielen Erzählsträngen und handelnden Personen brauchen die Leser Zeit und Geduld. Manchmal dürften sich insbesondere diejenigen überfordert fühlen, die nur wenig von der polnischen Geschichte des 18. Jahrhunderts wissen, jener polnisch-litauischen Adelsrepublik, die sich in der Zeit der Erzählhandlung ihrem Niedergang näherte.

Abschrecken sollte das keinesfalls. Denn „Die Jakobsbücher“ ist ein epischer, gewaltiger historischer Roman. Tokarczuk schreibt bildhaft und poetisch, voller Reflektionen über Nationen und Grenzen, über Religion und Mystik, über enge Welten und große Geister. Von Rohatyn in der heutigen Westukraine bis nach Offenbach führt dieser große Roman über Jakob Frank, der als „Luther der Juden“ galt – für die einen ein Ketzer und Scharlatan, für die anderen ein Messias, ein Mann, der Religionen und Nationalität wechselte, der faszinierte und abstieß. Olga Tokarczuk zeichnet die Welt, in der sich Frank und die vielen anderen Charaktere bewegen, wie ein Monumentalgemälde, gewissermaßen auf der literarischen Großleinwand. Voller Wucht bereits die Beschreibung eines Markttags in Rohatyn auf den ersten Buchseiten, von strohbedeckten Katen, von Kirchen und Synagogen, vom Alltag und der Armut der kleinen Leute. „Je tiefer der Blick in die Seitengassen dringt, desto schärfer springt die Armut ins Auge, wie eine ungewaschene Zehe im löchrigen Stiefel“, schreibt sie etwa. „An den Lumpen ist nicht zu erkennen, ob es jüdisches, orthodoxes oder katholisches Elend ist. Die Armut kennt weder Konfession noch Staatspapiere.“

Diese Welt im heutigen Südostpolen und der heutigen Westukraine ist auch die Region, in der der Chassidismus seinen Ursprung hatte, aber auch Mystiker. So eben auch Frank, der im Osmanischen Reich zum Islam, später in Polen mit seinen Anhängern zum Christentum konvertierte. Für ihn waren Grenzen in Tokarczuks Buch fließend - ob es sich nun um Grenzen zwischen Staaten oder zwischen Religionen handelte. Die vielen Details, die präzisen Schilderungen lassen ahnen, wie viel Zeit Tokarczuk mit der Vorbereitung und Recherche dieses Buches verbracht haben muss.

Wien und Warschau, Offenbach und Lemberg, Adels- und Bischofspaläste wie auch die Welt der Gassen und der Strohhütten sind die Handlungsorte der „Jakobsbücher“ und auch wenn es um die Lebensgeschichte Jakob Franks geht, handelt es sich doch eigentlich um das Porträt einer ganzen Epoche.

Dass dabei gerade der polnische Adel und Klerus nicht immer vorteilhaft wegkommen, dass etwa ein aus der Leibeigenschaft geflohener polnischer Bauer oder zwei ukrainische Waisen bei jüdischen Familien Zuflucht gefunden haben, hat Tokarczuk bei der Veröffentlichung in Polen Schmähungen national denkender Leser eingebracht.

(dpa)
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