Die Jungs vom FC Arbeitslos, das Berliner Betongold, die japanische Zivilcourage

In ihrer Machart sind die Wettbewerbsdokus in diesem Jahr formal relativ konventionell, doch thematisch decken sie ein weites Spektrum ab und tun das professionell.

 Motiv aus „Als die Sonne vom Himmel fiel“. Foto: Ican Films

Motiv aus „Als die Sonne vom Himmel fiel“. Foto: Ican Films

Foto: Ican Films

Als die in der Schweiz lebende Japanerin Aya Domenig 2010 einen Film über ihren Großvater in Angriff nahm, der 1945 als junger Arzt am Rotkreuz-Hospital in Hiroshima die Erstversorgung von Atombombenopfern leistete, konnte sie nicht ahnen, welcher Kreis sich ein Jahr später mit Fukushima schließen würde. "Als die Sonne vom Himmel fiel" wird dann eingeholt von der radioaktiven Gegenwart und verknüpft beides zu einem aufrüttelnden Stück Zeitgeschichte, dem man (auch in Schulen!) ein großes Publikum wünscht. "Wer noch lebte, war am Sterben", schildert die heute 90-jährige Chizuko Uchida, die mit bewundernswerter Zähigkeit und krummem Rücken die Heilpflanze Dokudami sammelt, hackt, trocknet und an Familien in Fukushima verschickt, die Tage nach dem Atombombenabwurf. Warum Domenigs Opa nie über seine Erlebnisse sprach, erklärt der Arzt Shuntaro Hida, der noch mit 95 nach Fukushima Vorträge hält, um sein Volk aufzuklären: Die Amerikaner, die Japan bis 1952 besetzten, verboten jede medizinische Protokollierung. Intern ließ die US-Armee nur Fälle im Umkreis von zwei Kilometern um die Abwurfstelle erfassen. Hida erzählt von den bis heute verschwiegenen inneren Verstrahlungen wesentlich entfernter gewesener Opfer und der kollektiven Verdrängung in Japan - bis heute hätten Frauen in Hiroshima miserable Heiratschancen. Wie 1945 verharmlost man auch nach Fukushima erneut, macht Domenigs Doku klar, die uns Zivilcourage lehrt. Die aktuelle Regierung Abe ist schon wieder auf AKW-Kurs.

Heute: 19.45 Uhr, CS 2; Do: 22.30 Uhr, Achteinhalb; Sa: 12.45 Uhr, CS 2; So: 15.30 Uhr, CS 5.



Tiefe Einblicke ins Los arbeitsloser Profifußballer gibt Mehdi Benhady-Djilalis genau hinschauender Film "Zweikämpfer", in dem er am Beispiel von vier Ex-Ligaprofis das letzte, desillusionierende Kapitel mancher Profikarriere ausleuchtet: den Moment, wenn einen mit Mitte 30 keiner mehr will, weil man angeblich zu lahm, zu verletzungsanfällig oder zu namenlos wurde. Der Film fängt die zwischen Zuversicht und Zynismus pendelnde Stimmung im Sommer-Trainingscamp der Fußballergewerkschaft mit 1300 Mitgliedern ein. Mit dem Camp, bei dem sie sich unter Leidensgenossen in Form halten, quasi als "FC Arbeitslos" gegen Landesligisten kicken und auf Vereinskontakte hoffen, sind sie in ihrer Karriere-Nachspielzeit angekommen. Dubiose Spielerberater, zweckoptimistische Coachs, angeknackste Männerseelen: Das VDV-Camp ist kein Ponyhof. Dagegen geschnitten sind Krisengespräche von Lütti, Mick & Co mit Frau oder Eltern am Küchentisch, in denen sie Perspektiven ausloten: das Karriereabenteuer Vietnam oder lieber 'ne Ausbildung? "Das einzige, was ich hab', ist ein Handyvertrag", sagt Christian Mikolajczok, der am Ende Feuerwehrmann wird. Djilali gelingt eine intime Nahaufnahme aus der Ausgemusterten-Welt - ein galgenhumoriger, gekonnter Epilog zur üblichen Sportschau-Fußballherrlichkeit.

Heute: 22.15 Uhr, CS 2; Fr: 11 Uhr, CS 9; Fr: 17.45 Uhr, CS 5; So: 19.30 Uhr, Achteinhalb.

Von Immobilienhaien beaufragte Sabotagetrupps zur Demoralisierung Nicht-Auszugswilliger; über Nacht zugemauerte Badfenster; Baukräne, die krakengleich in Straßenbilder greifen: Als neoliberales Lehrstück über die neue Berliner Betongoldwelt angelegt ist Andreas Wilckes "Die Stadt als Beute". Eine US-Millionenerbin, wie Londoner Geschäftsleute auf Immobilien-Einkaufstour in Berlin, erzählt, dass renitente Mieter gegen Zahlung von 10 000 Euro auszögen und damit der Gentrifizierungsorgie nicht länger im Wege sind. Die Miet- und Kaufpreise explodierten seit 2006 und setzten bereits zu Zeiten eines rot-roten Senats eine Vertreibungspolitik des Prekariats in Gang, macht Wilckes ganz klassisch Interviews, Fallbeispiele und Abriss-Impressionen mischende Doku klar. Mietpreise von zehn Euro pro m{+2} (eine Verdopplung binnen weniger Jahre), werden, so ein befragter Insider, künftig Standard sein im hauptstädtischen sozialen Wohnungsbau. Wilcke, als Filmer ein Autodidakt, ergreift nicht Partei für die Deklassierten, sondern setzt auf das Entlarvungspotenzial nüchterner Bestandsaufnahme: Wenn ein Makler zynisch anmerkt, Hartz IVler müssten nicht am Potsdamer Platz residieren und die Vertreterin der Berliner Wohnungsgesellschaft dazu lächelnd die Zähne fletscht, erübrigt sich jeder Regie-Fingerzeig.

Heute: 22.15 Uhr, CS 5; Fr: 20 Uhr, CS 2; Sa: 17.30 Uhr, FH, So: 14 Uhr, CS 9.



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