Saarbrücker Theaterfestival Primeurs Die im Dunkeln versteht man besser

Saarbrücken · Wie der Prolog des Saarbrücker Festivals Primeurs im Forbacher Le Carreau zum Theaterereignis wurde.

Ein neunjähriger Junge und seine alleinerziehende junge Mutter. Als sie plötzlich stirbt, setzt das Kind den Alltag fort, als ob nichts wär‘. Dass das Kind mit einem Leichnam unter einem Dach lebt, wird erst vier Wochen später entdeckt. Es ist dieses unerhörte Ereignis, dem ein realer Fall zugrundeliegt, das Gloria Mina zu ihrem Theaterstück „Ça va, Maman?“ inspirierte. Dass es auch für das Publikum zu einem besonderen Ereignis wird, liegt jedoch weniger am Stück selbst, sondern an seiner Inszenierung durch Regisseur Armand Eloi, die am Mittwoch als Prolog zum Festival Primeurs im Forbacher Nationaltheater Le Carreau gastierte.

Wie ein Blinder, wie ein Hörspiel erlebt das Publikum die Aufführung, sitzt es doch im kleinen Theatersaal im Keller eine kurze Stunde lang in nachtschwarzem Dunkeln. Zu Anfang erhält man lediglich eine eingesprochene Beschreibung des Orts des Geschehens. Dazu zeichnet eine unsichtbare Hand – eine Filmprojektion – auf einen Gazevorhang das Bild einer Küche, die man sich im folgenden „Theater im Dunkeln“ ebenso wie das Spiel und Aussehen der Akteure vor dem inneren Auge (wieder) imaginieren muss. Marini hat die Geschichte, wie sie nach der Vorstellung erklärt, unter der Leitfrage ausgestaltet, wie ein kleines Kind das Zusammenleben mit einer Toten seelisch, aber auch praktisch meistert.

Es wird psychologisch plausibel, doch recht konventionell erzählt. Das Kind, mit der Mutter ein Herz und eine Seele, hält diese für tief schlafend wie ein Dornröschen und will sie aus Rücksicht nicht wecken. Geschickt baut Marini das Verdrängen als Leitmotiv in ihr Stück ein: So wie die Mutter bis kurz vor ihrem Tod die Vergewaltigung durch den Stiefvater verdrängt, verdrängt der Sohn nun ihren Tod und rettet sich in Märchen.

Eine Wucht aber ist, wie die drei Schauspieler nur mit ihren Stimmen und Geräuschen, Emotionen und räumliches Spiel vermitteln können. Natürlich müssen sie dabei etwas übertreiben, um das Fehlen visueller Informationen auszugleichen. Auch aus pragmatischen Gründe habe er diese Inszenierung gewählt, erklärt der aus Belgien stammende Regisseur Armand Eloi später. Denn man könne einem Kind einen so langen Auftritt nicht zumuten. Auch hätte man das Zusammenleben mit einer verwesenden Leiche wohl nie so glaubwürdig spielen können, wie es nun in der Vorstellungskraft des Zuschauers möglich ist, möchte man hinzufügen.

Ein durchaus gelungener Auftakt also für das Festival der frankophonen Gegenwartsdramatik, das bis Samstag in Saarbrückens Alten Feuerwache in Werkstattinszenierungen den Fokus mehr auf innovative Texte legen wird.

Heute: 19 Uhr (Alte Feuerwache): „Im Herzen tickt eine Bombe“ von Wajdi Mouawad; 20.30 Uhr: „Frühlingsgefühle“ von Aiat Fayez.

Samstag: 18 Uhr: „Inside Georges“ von Emmanuelle Demestreamau; 19.30 Uhr: „Auf einer Insel“ von Camille de Toledo; 21 Uhr: „Die 24 Stunden der Tina Pools auf der Suche nach ihrem Glück“ von Marie Henry. Anschließend Verleihung der beiden Primeurs-Preise für Autoren und Übersetzer. Ab 23 Uhr: Abschlussparty in der Sparte vier. Karten unter (0681) 30 92 486.

Infos, auch zum Begleitprogramm: www.festivalprimeurs.eu

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