Musical am Saarbrücker Theater Die hinreißendste Theater-„Lady“ seit langem

Saarbrücken · Sängerglanz und Regiegeschick: „My fair lady“ sorgt für Musical-Rundumglück an der Saarbrücker Bühne.

 Ganz schön dicke Backen: Ob Kugeln im Mund wirklich die gute Rede fördern helfen? Eliza (Herdis Anna Jónasdóttir) müht sich jedenfalls redlich, Prof. Higgins’ (Tobias Licht, Mitte) und Oberst Pickerings (Stefan Röttig) Ratschlägen zu folgen.

Ganz schön dicke Backen: Ob Kugeln im Mund wirklich die gute Rede fördern helfen? Eliza (Herdis Anna Jónasdóttir) müht sich jedenfalls redlich, Prof. Higgins’ (Tobias Licht, Mitte) und Oberst Pickerings (Stefan Röttig) Ratschlägen zu folgen.

Foto: Martin Kaufhold/Saarl. Staatstheater/Martin Kaufhold

 Es mag ja am Alter liegen, in diesem Fall an jenem des Kritikers, das einen, so heißt es, zu anderen Sichtweis(heit)en verhelfe. Oder an der alles wunderbar mildernden Vorweihnachtszeit. Oder auch daran, dass der Regisseur zum Glück einer großen Versuchung widerstanden hat...

Doch der Reihe nach: Diese „My fair lady“ ist ein Hit.  Ohne wenn und höchstens ein paar kleinen Aber. Dabei könnte einem das, was Regisseur Thomas Winter uns mit seinem Team (Bühnenbild: Dirk Becker/Kostüme: Christof Cremer)  als Bilderbogen für einen, wenn nicht gar den Musical-Megaseller aufklappt, auch als reichlich biederer Wiedergänger jener legendären „My fair lady“-Verfilmung aus den 60ern mit Audrey Hepburn vorkommen. Oder auch als „Downton Abbey“ mit Gesangseinlagen. Viel wohlige postviktorianische Betulichkeit halt: Snobistische Herren in Hausmänteln schauen hochnäsig übers verdreckte Londoner Prekariat hinweg. Jeder, wo er hingehört: So sahen es jedenfalls die, die oben waren.

Just da läge aber auch der Hebelpunkt für eine Miss Doolittle 2017, mal ganz ohne Sozialromantik. Das Blumenmädchen Eliza ist schließlich eine Frau, die ihr Leben in die eigenen Hände nimmt, die nach oben will. Die sich nicht länger schert, was die Gesellschaft diktiert. Und contra gibt, wenn Männer mal wieder über ihren Kopf hinweg reden. Ob das nun ihr schnapsseliger Alter oder Prof. Higgins und Oberst Pickering sind. Eben dieser Higgins wäre ja wohl auch ein Fall erst für die Therapie, dann fürs analytische (Musik-)Theater: So ein selbstgefälliger, garantiert skrupelloser Wissenschaftsfanatiker, wie er ist. Und der auch noch glaubt, an seinem Tun könne die Welt, zumindest aber good old england genesen. Potenzial zuhauf also, die Lady  ins 21. Jahrhundert zu entführen – und sich nicht auf eine Aus-grauem-Entlein-wird-hübscher-Schwan-Geschichte zu beschränken.

Doch ebendieser Versuchung widerstand Regisseur Winter. Und das ist tatsächlich gut so, meint eben der alternde Kritiker. Denn Winter glänzt in einer Disziplin, die man lange nicht mehr so kunstfertig in Saarbrücken präsentiert sah. Er lässt das Stück in der vorgesehenen Spielzeit. Vermag aber dank virtuoser Personenführung, mit Witz und Tempopräzision das Musical fast so herzurichten, als sei es uraufführungsfrisch. Als schrieben wir anno 1956, und Eliza stünde neu im Rampenlicht. Bei Winter stimmt jeder Bühnendreh, sind die Szenen fein komponiert, jeder Lichtwechsel erfüllt seinen Sinn: Und es macht einfach Lust, solchen Bühnenhandwerkern zuzuschauen, die sich so auf ihr Geschäft mit der Illusion verstehen.

Aber der Regisseur hat auch Glück – mit seinen Sängern, die allesamt enorme Spiellust treibt. Herdis Anna Jónasdóttir muss man als Eliza einfach gleich ins Herz schließen. Wie sie mit ihren kümmerlichen Blumensträußchen im Londoner Straßenschmutz kniet: klein, zart, fragil. Jedoch mit einem Mundwerk gesegnet, dass Lords wie Proleten das Fürchten lehrt. Jónasdóttir mischt da für das Gossenkind Berliner Schnauze mit einem Hauch isländischer Lautmelodie; echt exotisch. Da hat Sprachlehrer Higgins einiges zu tun. Vor allem aber jault sie, quietscht und kauderwelscht so unverstellt, dass man fast vergisst, über welch’ elegant-jubilierenden Sopran sie verfügt. Natürlich blüh’n so grün dafür auch noch passende Szenen. Ihr „Ich hätt’ getanzt...“ ist fürwahr ein Gedicht. Aber sich so reinzuknien, auch hässlich sein zu wollen, den Wohlklang zu verleugnen, weil die Rolle es fordert, das ist schon grandios.

 Ihr Widerpart, Tobias Licht, scheint für Professor Higgins, diese Mixtur aus Muttersöhnchen und Misanthrop, beinahe zu elegant. Doch der TV- und Kinomann, der etwa auch in der „Weißen Rössl“-Neuverfilmung (2013) als „Dr. Siedler“ auftrumpfte, hat fraglos ein Händchen für solche Schnösel. Er kann herrlich abgehoben singen und parlieren – und das zu passend blasiertem Upper-class-Blick. Auch wenn Licht am Premierenabend manchmal etwas viel wollte, allzu harsch mit Eliza umsprang, wenn die bei den Sprechübungen nicht parierte. Dennoch sind gerade seine und Jónasdottirs Präsenz Garanten dieses Saarbrücker Erfolgs. Beide sorgen nämlich auch dafür, dass die Konflikte des ungleichen Paars, der Widerstreit zwischen Higgins aufgesetzten Manieren und Elizas wahrer Herzensbildung, nicht untergehen im Reigen all der Ohrwürmer.

Die aber, die unvergängliche Musik, sind das eigentliche Pfund der Musical-Lady. Und schon die mit Evergreens hochdosierte Ouvertüre packt Steffen Neubert am Pult beherzt an. Flink im Tempo, mit effektvoller Dynamik. Ja, der weiß, wie man Musik spannend macht! Und das Orchester ist sofort gut in Fahrt, rhythmisch auf dem Punkt, schwelgerisch im Ton, beseelt im Sound. Da hatte man wohl hörbar auch im Graben richtig Spaß an dem Musical-Klassiker. Der Spitzen-Chor kann das überdies noch zeigen: Sind die Choristen nämlich auf der Bühne, bekommt das Ganze noch mehr Klang-Opulenz, aber auch richtig Revue-Rasanz. Und Christof Cremer hat die Sänger überdies in wahre Zuckerguss-Kostüme gesteckt, einfach zum Anbeißen.

Nein, es fehlt an diesem Abend an nichts. Denn  neben Tobias Licht und Herdis Anna Jónasdóttir formen die übrigen Solisten ein echtes Ensemble, eine überzeugende Gemeinschaft. Stefan Röttig bleibt als Oberst Pickering zumindest Gentleman, wenn Higgins mal wieder über Elizas Gefühle hinweg trampelt. Auch Judith Braun (Hausdame Pears) und Gabriela Krestan  als Higgins Mutter bewähren sich schließlich als Korrektiv gegen den lange gefühlskalten Wissenschaftsmenschen. Gefühl im Überschwang hat dafür Elizas Verehrer, Freddy Eynsford-Hill: Salomón Zulic del Cantos Liebesschwüre sind voller Schmelz, nur manchmal etwas unverständlich. Nicht, dass er am Ende noch Prof. Higgins in die Hände fällt...  

 Wie der Vater so die Tochter? Nein, Eliza (Herdis Anna Jónasdóttir) will der Welt ihres Vaters, Alfred Doolittle (Markus Jaursch), entkommen.

Wie der Vater so die Tochter? Nein, Eliza (Herdis Anna Jónasdóttir) will der Welt ihres Vaters, Alfred Doolittle (Markus Jaursch), entkommen.

Foto: Martin Kaufhold/Saarl. Staatstheater/Martin Kaufhold

Weitere Vorstellungen: 12., 20., 29. und 31. Dezember. Karten gibt es unter
Tel. (06 81)   3 09 24 86.

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