Zeitungsmuseum in Wadgassen Die Enten sind unter uns

Wadgassen · Bürzel in Wadgassen: Heute Abend beginnt im Deutschen Zeitungsmuseum die „Duckomenta“-Ausstellung. Klassiker der Kunstgeschichte werden mit Entenschnäbeln garniert und verfremdet – ein Riesenjux, aber mit Historie und Hintersinn.

 Die erste Version des Gemäldes „Goethe in der Römischen Campagna“. Künstler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, so geht die Legende, malte den Dichterfürsten dann später ohne Schnabel.

Die erste Version des Gemäldes „Goethe in der Römischen Campagna“. Künstler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, so geht die Legende, malte den Dichterfürsten dann später ohne Schnabel.

Foto: InterDuck

Müssen wir die Menschheitsgeschichte umschreiben? Haben Historiker über Jahrhunderte verschlafen, dass unter uns hochentwickelte Enten lebten, watschelten, schnäbelten? Sozusagen eine Parallelgesellschaft mit Bürzel? Es scheint so. Anders sind Funde wie der mumifizierte „Dötzi“ im ewigen Gletschereis oder eine Sphynx mit Schnabel in Ägypten nicht zu erklären. Oder eine vergoldete Ente aus dem antiken Troja, die die Legende des Trojanischen Pferds als, nunja, Ente entlarvt.

Willkommen in der Welt der „InterDucks“, die es so dann doch nicht gegeben hat – aber schön erfunden sind sie schon, vor über 30 Jahren von Künstlern, die sich einen Jux draus machten, Werke Alter Meister zu kopieren, wenn auch mit einem markanten Unterschied – dem Schnabel eben, dessen Wirkung unterschiedlich ist: So wird die mysteriöse Mona Lisa zu einer nicht ganz so hintergründig, eher etwas dümmlich lächelnden Entendame, während Vermeers „Ente mit dem Perlenohrring“ vielleicht noch etwas an stillem, zurückhaltendem Charme gewonnen hat. Aus dieser malerischen Verballhornung ist über die Jahre eine seit 1986 durch die Welt tourende Ausstellung namens „Duckomenta“ gewachsen, mit um die 500 Exponaten, die sich  Museen leihen können.

  Steve Dobs/Jobs mit Smartphone – währscheinlich von der Firma Erpel.

Steve Dobs/Jobs mit Smartphone – währscheinlich von der Firma Erpel.

Foto: InterDuck

Nun hat das Deutsche Zeitungsmuseum in Wadgassen zugegriffen, wobei es nicht einfach nur eine Auswahl der Exponate zeigt, wie Museumsleiter Roger Münch erklärt. „Wir fanden es interessanter, Stücke unserer eigenen Sammlung mit den Exponaten zu kombinieren, miteinander in Beziehung zu setzen.“ Um die 150 Stücke hat das Museum ausgewählt und spart dabei bewusst die Frühzeit der „InterDucks“ aus (sieht man von der ägyptischen „Duckfretete“ ab).

Passend zu einem Zeitungsmuseum beginnt die Wadgasser  „Duckomenta“ wie die Dauerausstellung mit Gutenberg, dem Buchdruck und endet mit einer weiteren Umwälzung des Medienbetriebs: Ein schnabeliger Steve Jobs alias Dobs hält 2007 das erster Smartphone in die Höhe – für den klassischen Buchdruck wohl eine Nahtoderfahrung.

 Jean Duckenberg, offenbar der wahre Vater des Buchdrucks.

Jean Duckenberg, offenbar der wahre Vater des Buchdrucks.

Foto: InterDuck

Gehängt sind die  Exponate auf den beiden Stockwerken des Museums recht eng, „wie in der Eremitage in St. Petersburg“, sagt Münch, „bei vielen Museen ist diese Petersburger Hängung ein Stilmittel – bei unseren Platzverhältnissen eine Notwendigkeit“.  Aber sie schadet dem Eindruck nicht. Viel zu sehen gibt es, viel zu grinsen bis lachen (wenn auch vielleicht nicht für bierernste Hochkultur-Puristen) – und über den Umweg der schnabeligen Komik erfährt man einiges bei dieser in fünf Stationen chronologisch geordneten Schau, die sich wortspielend „Die entgültige History-Tour“ nennt: von „Die typologische Revolution (1400-1500)“ bis zu „Aus den Trümmern zu den Sternen (1945-2007). Die Ausstellung ist mehr als ein Jux, sie ist eine Zeitreise ebenso durch Geschichte wie Kunstgeschichte – unterfüttert von Stücken des Zeitungsmuseums, darunter die Originalausgabe der Lutherbibel, Dada-Zeitschriften und ein Druckpresse-Modell nach Leonardo DaVinci.

Die "Duckomenta" ist im Zeitungsmuseum Wadgassen zu sehen.
Foto: Tobias Keßler

Die Verfremdung der Klassiker mit Entenschnäbeln zeitigt beim Gang durch die Räume einen besonderen Effekt: Animiert vom Motor der Komik schaut man dann nochmal genauer hin, auch wenn man sich nicht zwingend etwa für mittelalterliche Altäre interessiert: In Wadgassen steht ein herrlicher Fake-Altar zu Ehren des Wundertätigen St. Dagobertini – wobei man sich wundern muss, dass die „Duckomenta“ bisher keine urheberrechtlichen Probleme mit dem Disney-Konzern bekommen hat. Zwar hat die „Duckomenta“ nichts mit Disney,  Dagobert oder Donald Duck zu tun, aber die Assoziationen liegen nahe: Hinter der schnäbeligen Marianne in Delacroix’ Gemälde „La liberté guidant le peuple“ etwa ragen Micky-Maus-artige Ohrmuscheln in den Rauch der Revolution.

Die "Duckomenta" ist im Zeitungsmuseum Wadgassen zu sehen.
Foto: interDuck

An Reformation und Rokoko führt die Ausstellung vorbei, von der Industriellen Revolution zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg, von der Nachkriegszeit zur Mondlandung, von Honecker zu Merkel, die hier auch mit Schnabel verewigt ist, aber ohne Raute. Die hätte mit acht Fingern möglicherweise gewöhnungsbedürftig gewirkt – so wie es hier Albrecht Dürers „Betende Hände“ tun, die in der Wadgassener Enten-Version etwas weniger fromm und feingliedrig aussehen, eher zufrieden zusammenpatschend.

Überhaupt ist es ein Riesenspaß, wie die „Interduck“-Künstler hier bekannte Kunstwerke verfremden, auf den ersten Blick dabei vielleicht humoristisch banalisieren, sie aber ihrem weihevollen Klassiker-Status entreißen. Man bekommt einen frischen, einen anderen Blick, und oft ist das Ganze hochkomisch. Die umnebelte Melancholie von Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Weltenmeer“ wird durch des Wanderers runten Entenpopo federleicht aufgefangen. Ein T-Shirt mit einem schnabeligen Che Guevara (hier: Duckevara) verdeutlicht nochmal, wie sehr das Originalmotiv längst zum Klischee geworden ist.

Manchmal muss man hier auch genau hinsehen: Bei Monets „Aufgehender Sonne“ sind die Schnäbel der weit entfernten Bootsfahrer mehr als winzig; bei einer Zeichnung, die Lenin zeigt, sucht man den Schnabel vergeblich – aber er zeichnet gerade eine Ente, eine vermutlich revoluzzende. Es gibt bei aller Kunstgeschichts-Komik aber auch bewusst befremdende Momente: Eine Stelle  ist dem Ersten Weltkrieg gewidmet und zeigt ein Plakat mit einem deutschen Soldaten im Gefecht und dem Aufruf „Helft uns siegen! Zeichnet Kriegsanleihen“. Unter dem Stahlhelm lugt ein Entenschnabel hervor – das macht das Ganze noch absurder und brutaler. Ein kurzer und auch willkommener Augenblick der Beklemmung in einer Ausstellung, die ansonsten ein enormes Vergnügen ist.

Bis 9. Juni 2019. Eröffnung heute Abend um 18 Uhr. Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 10-16 Uhr. Es gibt Werkstatt-Stationen, eine begleitende App und Smartphones zum Ausleihen.
Infos: Tel: (0 68 34) 942 30.
www.deutsches-zeitungsmuseum.de

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