Tatort „Mord ex machina“ Der Tod, der aus dem Internet kam

Saarbrücken · Kommissar Stellbrinks vorletzter Fall: Selten war der SR-„Tatort“ so packend wie dieses Mal. Ein cooler Netz-Thriller ohne Mätzchen und ohne Klamauk.

 Auch wenn längst via Internet gemeuchelt wird, die Hausdurchsuchung kommt im TV-Krimi nicht aus der Mode. Hauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow, vorn) spürt im neuen SR-„Tatort“ Hackern an der Berliner Promenade in Saarbrücken nach.

Auch wenn längst via Internet gemeuchelt wird, die Hausdurchsuchung kommt im TV-Krimi nicht aus der Mode. Hauptkommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow, vorn) spürt im neuen SR-„Tatort“ Hackern an der Berliner Promenade in Saarbrücken nach.

Foto: SR/Manuela Meyer/Manuela Meyer

Jetzt, kurz vor Dienstschluss hat man ihn ja fast ins Herz geschlossen. Oder sich wenigstens doch aneinander gewöhnt. Vor fünf Jahren stolperte Devid Striesow als Saarbrücker Kommissar Jens Stellbrink wie ein Clown in die Sonntagabends-„Tatort“-Manege. Ein Sonderling mit großen Kinder-Staune-Augen, dessen (vorgebliche) Nai-
vität verblüffte, aber auch böse Buben zum Reden brachte. Leider war Striesow sofort umringt von einer völlig überkandidelten Staatsanwältin und einer hölzernen Kollegin, hatte überdies desaströse Drehbücher abzuarbeiten. Kurzum: Der SR-„Tatort“ war drauf und dran, als Lachnummer zu verenden. Jetzt, am Neujahrsabend, wartet Stellbrinks siebter und bereits vorletzter Fall. Im Juli hatte Striesow plötzlich Schluss gemacht mit dem SR, kurz nach zwei frisch abgedrehten „Tatorten“. Der 44-Jährige, ein Dia-mant unter Deutschlands TV- und Kino-Aktiven, ließ wissen: Er wolle sich anderen Projekten zuwenden.Verständlich.

Schaltet man an Neujahr, 20.15 Uhr, aber das Erste ein, wenn der SR-„Tatort“ gegen den ZDF-Unterhaltungsdampfer „Traumschiff“ Quote einfahren soll, kann man nur bedauern, dass Striesow geht. „Mord ex machina“ ist nämlich richtig gut. Fraglos einer der besten „Tatorte“ vom Halberg seit langem.

Was viele Gründe hat. Vor allem haben sich Regisseur Christian Theede und Drehbuchautor Hendrik Hölzemann ein Thema gegriffen, dass heute quasi jeden angeht. Ums große Business mit den Daten dreht es sich. Um das, was wir alle von uns, manche bedenkenlos, preisgeben. Wenn wir im Internet einkaufen, per Smartphone buchen. Oder, schon dummdreist, wenn man sogar noch dafür zahlt, sich Wanzen wie Amazon Echo ins eigene Nest zu setzen. „Wenn ich alles über Sie weiß, dann gehören Sie mir“, droht der saarländische IT-Geschäftemacher Victor Rousseau (Steve Windolf) Stellbrink mehr, als dass er ihm das Spiel mit den Daten erklärt. Skrupel kennt Rousseau so wenig wie er Datenschutz ernst nimmt. Leider legt Steve Windolf diesen Datenverkäufer zu sehr auf bloße Kaltschnäuzigkeit fest. Mit seiner Firma sammelt und verwertet er Informationen in gigantischem Stil. Und das ohne Grenzen. Quasi als Datenstaubsauger hat Rousseaus Firma auch noch selbstlenkende Autos konstruiert. Diese Mobile chauffieren nicht bloß autonom, sie untersuchen ihre Passagiere auch gleich noch, messen Blutdruck und Promillestand; die Krankenkassen freuen sich. Und Kameras nehmen während der Fahrt alles auf: echte Aus-Spähwagen.

 Das Fahren übernimmt zwar das Auto, Sterben aber muss man immer noch selbst: Nikolai Kinski als Feuerbach.

Das Fahren übernimmt zwar das Auto, Sterben aber muss man immer noch selbst: Nikolai Kinski als Feuerbach.

Foto: SR/Manuela Meyer/Manuela Meyer

So einem wie Rousseau darf man folglich alles zutrauen. Selbst, dass er seinen Geschäftspartner, Sebastian Feuerbach, ins Visier nimmt. Drehbuchautor Hölzemann mag’s offenbar philosophisch: Rousseau, Feuerbach, einen Fichte gibt’s auch noch. Manchmal kommt man sich in „Mord ex machina“ wie im Gelehrtenkolleg vor, zumal wenn Stellbrink dann auch noch Blaise Pascal zitiert. Fürwahr, so viel Geist war selten in einem Saar-Krimi.

Feuerbach (Nikolai Kinski) jedenfalls, der Daten-Händler nicht der Denker, kommt in seinem pilotierten Auto zu Tode. Legt einen Mords-Abflug im alten Göttelborner Bergwerk hin: Selbstmord – oder hat doch jemand den Wagen gehackt? Machte ihn zur ferngesteuerten Mordwaffe?. Da prophezeit dieser „Tatort“ schon mal die Autofahrer-.Albträume kommender Jahrzehnte. Und Netz-Terroristen frohlocken, weil unsere durchdigitalisierte Gesellschaft so wunderbar verwundbar wird.

Fast schon rührend, wie Stellbrink sich durch diesen „Tatort“ 4.0 hangelt, oft zweifelnd, ob er als analoger Ermittler da überhaupt noch was zu melden hat. Als Digital-Naiver, der sich mit Mühe gerade mal ein Profil fürs Online-Dating gebastelt hat. Der muss nun zur Mörderjagd ins virtuelle Dickicht, wird von der Hackerin Natascha Tretschok (Julia Koschitz) real umgarnt und zugleich im Netz an der Nase rumgeführt. Armer Stellbrink! Zum Glück hilft ihm wenigstens Kommissaranwärterin Mia Emmrich, eine Polizistin, die weiß, wie die Stunde digital schlägt. Sandra Maren Schneider erweist sich da endlich auch mal als wirklich starke Frau an Striesows Seite, eine, die sich auch schauspielerisch behauptet. Stellbrinks Kollegin Lisa Marx dagegen tritt quasi bloß noch als Stichwortgeberin auf. Und was Elisabeth Brück noch zu sagen hat, klingt bisweilen wie von der Landesregierung bestellt: „Strukturwandel, Technologie-Standort Saarland“.

 Die verführerische Hackerin Natascha Tretschok (Julia Koschitz).

Die verführerische Hackerin Natascha Tretschok (Julia Koschitz).

Foto: SR/Manuela Meyer/Manuela Meyer

Provinzielle Entgleisungen wie diese bleiben zum Glück rar. Christian Theede hat letztlich einen coolen Thriller gedreht, ein Hauch „Bourne Identität“ im Saarland. In kühler Optik und mit spektakulären Drohnen-Flügen (Kamera: Simon Schejkal) über vergehende Industrien, über Schlote, Fördergerüste und Halden, die endlich mal mehr sein dürfen als Kulisse: ein archaischer Widerpart zur virtuellen Welt.

Man schaut oft auf eine Art Nocturne, ein Nachtstück, das vieles bewusst auch im Halbdunkeln lässt. Es ist kein Film mehr, in dem man Mätzchen machen könnte. Der Rollerfahrende Kindkommissar Stellbrink musste erwachsen werden, Er fährt jetzt eine schwere Maschine. Kraft und Power braucht er, um überhaupt noch etwas ausrichten zu können. Ernüchtert ist er an einer Welt, die mit ihrer Ausdehnung ins Virtuelle immer unbeherrschbarer wird. Auch wenn die Triebfeder der Verbrechen die alten bleiben: Gier, Eifersucht, Macht. Darum ist auch die Zeit für Typen wie Stellbrink nicht abgelaufen. Schade, dass dieser nun so bemerkenswert gereifte Kommissar bald geht.

„Tatort – Mord ex machina“: Neujahr, 20.15 Uhr, ARD.

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