Der Romancier mit dem Herz für Deutschland

Paris · In Frankreich hatte Michel Tournier wegen seiner Vorliebe für die deutsche Sprache und Kultur einige Kritiker. Am Montag ist er im Alter von 91 Jahren gestorben. Er hinterlässt zahlreiche Essays, Kinderbücher und einige der bedeutendsten Werke der französischen Literatur. Zu ihnen zählt vor allem „Der Erlkönig“, mit dem Tournier auch in Deutschland zu einem Erfolgsautor wurde.

Sein Erstlingsroman "Freitag oder im Schoß des Pazifik"(1967) wurde mit dem großen Preis der Académie Francaise ausgezeichnet. Sein zweites Werk, "Der Erlkönig", erhielt im Erscheinungsjahr 1970 Frankreichs begehrtesten Literaturpreis, den "Prix Goncourt". Der Roman, von Volker Schlöndorff unter dem Titel "Der Unhold" verfilmt, spielt in Ostpreußen und stellt den Versuch dar, das Wesen des Dritten Reichs mythologisch zu deuten. Sieht man davon ab, dass Abel Tiffauges, der "Erlkönig" und Kinderfresser, ein Anhänger des Heiligen Christophorus wird, so kann man auch in diesem Roman Tourniers detaillierte Recherche bewundern. Er hat damals Ostpreußen beschrieben, die Region aber erst sehr viel später bereist. Also stützte er sich bei den Vorarbeiten auf die Memoiren des Jagdhüters von Rominten, dem einstigen Jagdrevier von Hermann Göring. Jean Améry warf Tournier daraufhin eine "Ästhetisierung des Faschismus" vor. Der Angegriffene konterte mit einem Wort von Léon Blum: ,,Sozialismus ist eine Moral, Kommunismus eine Technik, Faschismus eine Ästhetik."

Tournier, gebürtig aus Paris, war der Sohn eines Germanisten-Ehepaars. Als Kind erlebte er, wie die Deutschen das Haus seiner Eltern in Saint-Germain besetzten. Später erinnerte er sich: "Nie werde ich den Geruch vergessen, in dem sich ihr Verpflegungstabak mit dem Fett der Knobelbecher mischte. Für mich war es der Geruch des Glücks. Ich hatte glühend gewünscht, der Krieg möge ausbrechen und meinen Schulproblemen ein Ende machen . . ."

Die Zuneigung zu den Deutschen hatte sich Tournier erhalten. Er studierte Jura und Philosophie in Tübingen, in der Literatur wurden vor allem Goethe, Hesse und Thomas Mann für ihn wegweisend. Von den deutschen Schriftstellern schätzte er später aber auch Ernst Jünger, Heinrich Böll und Günter Grass. Aber er war bei alledem ein ganz und gar eigenwilliger Kopf, der längst mit seinem großen Vorbild Sartre gebrochen hatte, mit dessen politischem Engagement für die Linke er nichts anfangen konnte. Bei etlichen seiner Landsleute hat sich dieser mit vielerlei philosophischen Wassern gewaschene Romancier unbeliebt gemacht, weil er ihnen die Widerstandslegenden aus den Jahren der deutschen Besatzung nicht abnahm. "Nachdem Frankreich befreit war, waren plötzlich alle Leute Widerstandskämpfer gewesen. Ich war der einzige, der überhaupt nichts gemacht hatte. . ."

Michel Tournier, der über 50 Jahre lang nahe Paris im ehemaligen Pfarrhaus von Choisel im Chevreuse-Tal lebte, ist immer wieder durch die Welt gereist, vor allem nach Nordafrika, aber auch nach Deutschland, dem er in einem seiner letzten Bücher - "Le bonheur en Allemagne" von 2006 - einmal mehr seine lebenslange Sympathie bezeugte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort