Der Reichtum des Sparsamen

Saarbrücken · Mit Stewart O'Nans Roman-Adaption „Letzte Nacht“ als letzter Sparte 4- Premiere gelingt dort dank Grigory Shklyars kluger Regie ein dichter Abend.

 Schauspielkunst zeigt sich nicht nur im Gebrauch von Worten: Vanessa Czapla und Klaus Müller-Beck als Jacquie und Manny in der Sparte 4. Foto: Marco Kany

Schauspielkunst zeigt sich nicht nur im Gebrauch von Worten: Vanessa Czapla und Klaus Müller-Beck als Jacquie und Manny in der Sparte 4. Foto: Marco Kany

Foto: Marco Kany

Um partout zeitgemäß zu sein und künstlerisch neue Ausdrucks ebenen einzubauen, glaubt das heutige Theater immer häufiger an Video nicht vorbeizukommen. Tatsächlich bereichernd sind diese filmischen Einsprengsel auf der Bühne eher selten. Umso bemerkenswerter ist deshalb die letzte Sparte4-Produktion, die am Wochenende ihre umjubelte Premiere hatte und Theater und Film auf exzellente Weise verzahnt.

Stewart O'Nans 2008 in deutscher Übersetzung erschienenen kleinen, elegischen Roman "Letzte Nacht" in einer eigenen Stückfassung auf die Bühne zu bringen, ist eigentlich schon mutig genug. Grigory Shklyar, Regieassistent am Saarländischen Staatstheater, und SST-Dramaturg Holger Schröder sind das Risiko eingegangen. Zum Glück. Denn "Letzte Nacht" ist ohne Frage eine der besten Produktionen, die in den elf Jahren der Sparte 4 dort zu sehen waren. Was ganz entscheidend damit zu tun hat, dass dieser Abend mustergültig vorführt, wie sich filmische Elemente kongenial in eine Bühnenhandlung einfügen lassen. Grigory Shklyar (Inszenierung und Videos) gelingt es, nicht nur nahezu das gesamte SST-Schauspielensemble (plus in einer nahezu stummen, aber vielsagenden Szene als Gäste Hans-Georg Körbel und Elfie Elsner) in szenischen Einblendungen in die Geschichte einzubinden. Sondern sie trotz vorproduzierter Videosequenzen auf ganz unmittelbare Weise mit den beiden Schauspielern auf der Bühne (Klaus Müller-Beck und Vanessa Czapla) interagieren zu lassen. Passgenau und stilistisch völlig konsistent gestaltet Shklyars kluge Regie so nicht nur beständig Dialoge zwischen An- und Abwesenden.

Die kurzen Einblendungen zeigen auch eine (nie Selbstzweck werdende) Vielseitigkeit, die mal von Lakonie oder Komik, mal von eine Prise Surrealem oder beckettartiger Reduktion lebt. Wozu die in den Videos sichtbare, enorme Ensemble-Spiellaune viel beiträgt.

"Letzte Nacht" erzählt vom letzten Arbeitstag in einem amerikanischen Restaurant, das kurz vor Weihnachten dicht gemacht wird, weil das "Red Lobster" als Filiale nicht mehr genug Rendite abwirft. In guten Zeiten zählte man 44 Angestellte, jetzt aber werden fast alle geschasst - bis auf eine Handvoll, die künftig in einer profitableren Klitsche auftischen soll. Einer von ihnen ist Filialleiter Manny, den Klaus Müller-Beck auf hinreißende Weise als aufrechten Unglücklichen gibt. Manny versucht, auch an diesem letzten Abend erhobenen Hauptes aus seinem Laden herauszugehen. Alles soll so sein wie immer. Die Gäste zuvorkommend behandelt, das Personal ein letztes Mal eingeschworen, die Gläser sauber gewischt. Vor allem aber erzählt O'Nans Roman (und der Sparte 4-Abend) von Mannys wehmütiger Liebe zu seiner Angestellten Jacquie (mit viel Sinn für Zwischentöne: Vanessa Czapla). Mit ihr hatte er vor einem halben Jahr ein kurzes Verhältnis, dessen Ende er immer noch nachtrauert. Beide sind inzwischen anderweitig liiert, wenn auch nicht unbedingt erfüllter. "Du hast mich glücklich gemacht", wird Manny - während Barry Whites gehauchtes "Can you feel my love" als Hintergrundmusik läuft - am Schluss zu Jacquie sagen und sie antworten: "Ach, du mich auch.

Wenn's mit uns anders wäre . . . ." Die Kette, die er ihr geschenkt hatte, wird sie ihm in der bewegenden Schlussszene zurückgeben und ihn zurücklassen.

Weshalb nichts wurde aus Manny und Jacquie, hält Shklyar, der Romanvorlage folgend, so subtil wie kunstvoll in der Schwebe. Man ahnt, dass Bindungsangst und Unvermögen, sich zu öffnen, das ihre dazu taten. Wie Klaus Müller-Beck und Vanessa Czapla auf der von Christian Held mit von wenigen, prägnanten Requisiten (Wand-TV, Sitzbank, Restaurantfenster) ausgestalteten Mini-Bühne alleine mittels Gesten und Blicken ein Stück Leben einfangen, das ist in all seiner Sparsamkeit von großer Eindringlichkeit. Selten erlebte man Schweigen so beredt wie hier.

Termine: 20., 26., 30. Mai; 1., 2., 7., 8., 13. und 14. Juni. www.sparte4.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort