Jubiläum Der Mann mit der Leidenschaft für den Nagel

Bonn · Der Künstler Günther Uecker feiert am Freitag seinen 90. Geburtstag. Als Mitglied der Gruppe „Zero“ prägte er die deutsche Avantgardebewegung der 1950er Jahre.

 Günther Uecker in seinem Atelier in Düsseldorf. Bekannt wurde er vor allem mit seinen reliefartigen Nagelbildern.

Günther Uecker in seinem Atelier in Düsseldorf. Bekannt wurde er vor allem mit seinen reliefartigen Nagelbildern.

Foto: dpa/Fabian Strauch

Sein Ding ist der Nagel. Entstanden sind dreidimensionale Bilder, auf denen die Nägel wogende Felder erzeugen. Auch strudelnde Kreise, federartige Gebilde, schattige Flächen, streng geometrische Formen. Es gibt Gegenstände und Möbel, von denen eine Kaskade aus Nägeln stürzt oder aus denen stachelige Stellen ragen. Damit ist Günther Uecker berühmt geworden. Er schuf auch Installationen und Performances, war Mitglied der Künstlergruppe „Zero“ und gestaltete sakrale Räume. Der 1930 im mecklenburgischen Wendorf geborene und in Düsseldorf lebende Künstler wird am Freitag, 13. März, 90 Jahre alt. Seine Kindheit und Jugend verbrachte Uecker auf der Halbinsel Wustrow in der Ostsee, wo sein Vater als Ingenieur auf einem Flugplatz arbeitete.

1949 ging Uecker für ein Malereistudium nach Wismar, bevor er später auf die Kunsthochschule in Berlin-Weißensee wechselte. Anfang der 1950er Jahre dann der Schritt in den Westen: Von 1955 bis 1957 studierte er an der Kunstakademie Düsseldorf, an der er später, von 1974 bis 1995, als Professor lehrte.

Ende der 1950er Jahre gestaltete Uecker die Avantgardebewegung „Zero“ mit, die sich als Neuanfang und Bruch mit Konventionen verstand – von Null ausgehend. Gründer waren dabei Heinz Mack und Otto Piene, die Bewegung erfasste auch andere europäische Länder. Ebenfalls seit Ende der 1950er Jahre hantiert Uecker mit dem Nagel, der sein zentrales Instrument werden sollte – ein Alltagsgegenstand rückt hinein in die künstlerische Welt. Hinzu kommen immer wieder Elemente wie das Licht und auch die Farbe Weiß.

Uecker nahm an unterschiedlichen Aktionen teil wie beispielsweise im Jahr 1968 der „Besetzung“ der Kunsthalle Baden-Baden mit seinem Künstlerkollegen Gerhard Richter. „Im April 1968 lebten Richter und ich in der Kunsthalle Baden-Baden. Diese Ausstellung unseres persönlichen Lebensbereichs war ein Beispiel für die Auflösung bestehender Museumspraktiken“, wird Uecker dazu vom Auktionshaus Dorotheum in Wien zitiert.

In Ueckers Arbeiten finden sich auch politische und gesellschaftliche Positionen. Nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl 1986 schuf er den Zyklus „Aschebilder“. Uecker sagte dazu einmal in einem Interview der „Rheinischen Post“ zu seinem 80. Geburtstag: „Für den ‚Aschemensch‘ habe ich mich rücklings auf die Leinwand gelegt, wie ein Epileptiker meine Gefühle zum Ausdruck gebracht. Sprachlich konnte man das nicht zum Ausdruck bringen, damals. Das waren Empfindungshandlungen.“ In dem Interview erklärte er auch Bezüge zum Nagel. Im Zweiten Weltkrieg habe ihm die Sowjetarmee Angst gemacht. „Diese Sorge, dass meinen Schwestern und meiner Mutter etwas hätte passieren können, hat mich veranlasst, das Haus abzusichern, zu verbarrikadieren mit Balken und Stämmen. Von innen habe ich alles zugenagelt, die Fenster und Türen verrammelt.“

Auf die Frage, ob der Nagel somit eine existenzielle Bedeutung habe, antwortete Uecker: „Das war sicher eine Schlüsselerfahrung. Eine Verbindung zwischen dem Zarten und Bewahrenswerten der Prävention und der gewaltigen Schutzvorrichtung.“ Und an anderer Stelle: „Anstatt eines Bleistifts habe ich dann einen Nagel eingeschlagen, der auch Schatten bildete, so dass es eine kosmische Verbindung gab wie mit einer Sonnenuhr.“ Der Nagel sei sein „Zeichen“, sagte Uecker.

Bei dem Künstler finden sich auch Bezüge zur Religion. Zum Beispiel stellt seine Installation „Friedensgebot“ Szenen aus Bibel, Thora und Koran nebeneinander. Außerdem erhielt er den Auftrag, nach dem Umzug der Hauptstadt nach Berlin den Andachtsraum im Reichstagsgebäude zu gestalten: Uecker schuf einen offenen und interreligiösen Raum der Stille und des Rückzugs.

Der Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse sowie auch des Staatspreises von Nordrhein-Westfalen sagte seinerzeit der „Rheinischen Post“: „Ich denke: Der jüngste Tag ist immer jetzt. Und es ist der erste, der jüngste, im Gegensatz zu den gelebten Jahren.“ Und er bekannte: „Ich wollte immer alt werden.“

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