Saarländische Zeitgeschichte Das Zermürbungsspiel mit Pingusson

Saarbrücken · Weshalb die französischen Wiederaufbaupläne für Saarbrücken und Mainz nach 1945 scheiterten – ein Vortrag erklärte es im Pingussonbau.

 Plakat/Flyer für die Volksabstimmung 1955 mit Pingussons Botschaftsgebäude im Bau (Foto von 1954).

Plakat/Flyer für die Volksabstimmung 1955 mit Pingussons Botschaftsgebäude im Bau (Foto von 1954).

Foto: Foto: Plakat/Archiv Volker Ziegler

Zum Vortrag kommt man nur hinten herum. Über einen lausigen Parkplatz in der Hohenzollernstraße, von dem es durch ein (normalerweise verrammeltes) Tor durch den phantastischen Park des Pingussonbaus geht. Ist diese Art des Zugangs zu einem der bedeutendsten Kulturdenkmäler des Landes nicht symptomatisch für das, was aus dem im Volksmund „Schmales Handtuch“ getauften denkmalgeschützten Pingussonbau geworden ist? Mitten in der Stadt gelegen, ist die Ehemalige Französische Botschaft heute nahezu unzugänglich geworden, eingeklemmt zwischen der Stadtautobahn und hohen Parkmauern und selbst dazu ein ungeklärter Sanierungsfall.

Volker Ziegler, Lenkungskreis-Kopf des für September geplanten EU-geförderten Projekts „Resonanzen“, das sich der Französischen Architektur der 50er im Saarland und Lothringen widmen wird, erinnerte im Pingussonbau am Mittwochabend am Beispiel Saarbrückens und Mainz’ auf erhellende Weise an die Stadt-Utopien der französischen Besatzungszeit. Zieglers Vortrag im Rahmen der vom kunstgeschichtlichen Institut der Saarbrücker Uni organisierten Vorlesungsreihe „Erinnern und Aufbruch. Das europäische Kulturerbe im Saarland nach 1945“ markierte eine Art Prolog zu dem „Resonanzen“-Projekt. In Straßburg Architektur lehrend, spannte Ziegler dabei schon mal den zeitgeschichtlich aufschlussriechen Horizont des geplanten, längst nicht nicht baukulturell ausgerichteten Projekts auf.

Während die Franzosen in der von ihnen besetzten Zone Mainz zur Hauptstadt eines quasi „rheinischen Vasallenstaates“ (Ziegler) machen wollten, interessierte sie das Saarland als einzig nennenswertes Industriegebiet unter ihrer Oberhoheit nicht zuletzt als Wirtschaftsraum. Stadtplanerisch sollte Saarbrücken nicht anders als Mainz im Zeichen der an Le Corbusier geschulten funktionalistischen Moderne wiederaufgebaut werden. Dass es in beiden Fällen anders kam, lag Ziegler folgend maßgeblich an dem Widerstand, auf den ihre Planstadtmodelle vor Ort stießen. So habe die „JoHo“-Regierung Johannes Hoffmanns „eine Art Zermürbungsspiel“ mit dem von Frankreichs Hochkommissar Gilbert Grandval als Chefplaner eingesetzten Georges-Henri Pingusson betrieben, bilanzierte Ziegler. JoHo habe Pingussons Pläne im Sand verlaufen lassen, indem er deren technische Umsetzung im Saarbrücker Stadtplanungsamt ansiedelte, wo sie auf wenig Gegenliebe stießen. In Saarbrücken wie in Mainz favorisierte man den zügigen Wiederaufbau des alten Stadtgefüges, was die weitreichenden Pläne der französischen Urbanisten konterkariert hätten.

Pingusson und sein Mainzer Pendant Marcel Lods wiederum wollten in Zieglers Lesart jener Nachkriegsjahre die sich ihnen bietende Chance nutzen, in den von Frankreich verwalteten Städten „mehr zu experimentieren, als ihnen dies im Mutterland möglich gewesen wäre“. Die Blaupause für ihre weitreichenden stadtchirurgischen Eingriffe im Geist der „Mouvement moderne“ dokumentierten seinerzeit drei Ausgaben der Zeitschrift „Bau“, die quasi als bauliches Sprachrohr der französischen Militärregierung auf eine „Entpreußung des deutschen Kulturlebens“, so Ziegler, hinwirken sollten. Es kam bekanntlich anders: Entnervt gab Pingusson 1950 auf, als von seiner Neuordnung Saarbrückens noch immer nichts realisiert war und auf saarländischer Seite längst Landes- und Kommunalbehörden in eine ganz andere Richtung zogen: nämlich die Hängepartie der Zukunftsstadt-Ideen endlich zugunsten eines pragmatischen, schnellen Wiederaufbaus zu beenden. Also packte Pingusson die Koffer und setzte fortan lieber auf Projekte in Lothringen.

Zieglers Tour d’horizon der mithin weitgehend folgenlos gebliebenen Saarbrücker Pingusson- (wie auch der Mainzer Lods-)Jahre machte dreierlei deutlich: 1) Pingussons Saarbrücker Pläne fußten auf Ideen, deren Realisierung bis heute wünschenswert wäre. Das Saarufer als urbaner Raum, der Fluss als Stadtmitte, die unterirdische Durchfahrung der City – all das waren bereits Visionen Pingussons. 2) Anders als bisweilen kolportiert, wollte Pingusson dabei nicht tabula rasa machen. Nicht-zerstörte Areale in Alt-Saarbrücken und St. Johann sollten gerade nicht „plattgemacht“ werden, wie Ziegler in seinem Vortrag klarstellte. Und seine charateristischen, von weiten Grünzonen umgebenden Verkehrsschneisen und Wohnscheiben die Stadt mithin nicht durchpflügen. 3) Das Scheitern der französischen Urbanisten in Mainz und Saarbrücken basierte maßgeblich auf ihrer, so Ziegler, wenig Realitätssinn zeigenden „Unflexibilität“. Sie ließen außer Acht, dass ihre Projekte kaum zu finanzieren waren  und der Bevölkerung und Politik vor Ort schlicht die Zeit davon lief.

Fazit: Eine bessere Werbung als diesen Vortrag hätte das Projekt „Resonanzen“ nicht haben können.

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