Das Saarlandmuseum forscht nach Raubkunst Wem gehörte Slevogts Bildnis der Mutter?

Saarbrücken · Bei einem Gemälde des Impressionisten aus der Sammlung des Saarlandmuseums soll es sich um Raubkunst handeln. Eine Berliner Provenienzforscherin wirft dem Museum vor, die Prüfung zu verschleppen.

  Max Slevogts „Bildnis der Mutter“ (1887). Es zeigt Slevogts Mutter Caroline.

Max Slevogts „Bildnis der Mutter“ (1887). Es zeigt Slevogts Mutter Caroline.

Foto: Saarlandmuseum/Raphael Maass

Das „Bildnis der Mutter“ von Max Slevogt ist nicht immer ausgestellt in der Modernen Galerie. Zuletzt sah man es in der Slevogt-Jubiläumsausstellung des Saarlandmuseums vergangenes Jahr. Um dieses Gemälde dreht sich derzeit ein Streit zwischen den Erbeserben des von den Nazis 1938 enteigneten jüdischen Dresdner Industriellen Sigmund Waldes und der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. Ein Fall für die Provenienzforschung also, denn hier handelt es sich mutmaßlich um Raubkunst, für die es Entschädigung geben soll. So steht es in der Washingtoner Erklärung von 1998. Darin verpflichteten sich 44 Staaten, jene Werke in öffentlichen Sammlungen zu identifizieren, die die Nationalsozialisten den rechtmäßigen, meist jüdischen Eigentümern geraubt oder abgepresst hatten, und dieses Unrecht wieder gut zu machen.

In Saarbrücken wird deshalb derzeit die Herkunft des „Bildnisses der Mutter“ von Slevogt geprüft, denn dessen Erbeserben fordern es zurück. Ein ganz normaler Vorgang – hätte die Berliner Restitutions-Expertin und Kunsthistorikerin Irena Strelow den Fall nicht an die Öffentlichkeit gebracht, um Druck zu machen. Sie wirft Museumsdirektor Roland Mönig und seinem Team in einem Schreiben an unsere Zeitung vor, eine Restitution zu verschleppen. Strelow legt in ihrem Ende Januar an das Saarlandmuseum versandten Dossier unter Einbeziehung vieler Quellen durchaus plausibel dar, dass es sich bei dem „Bildnis der Mutter“ um Raubkunst handeln müsse, die zu entschädigen sei. Sie hält ihre Beweise für erdrückend und führt Datenbanken, Archiv-Auswertungen und Auktionskataloge an. Für die renommierte Raubkunst-Forscherin ist der Fall klar: „Das Saarlandmuseum insistiert auf einen Nachkriegserwerb des Bildes durch den Sammler Kohl-Weigand.“

Die Sammlung des St. Ingberter Unternehmers Franz Josef Kohl-Weigand kam 1980 in den Besitz des Saarlandes, das sie in die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz überführte. Strelow ist der Meinung, ihre Forschung belege, dass das besagte Werk aus der Sammlung Waldes stamme. Das sei sehr wahrscheinlich – aber eben noch nicht zweifelsfrei erwiesen, argumentiert man im Saarlandmuseum. Entscheidend für eine Restitution ist, wann der Rechtsbruch stattfand, in diesem Fall die Enteignung von Sigmund Waldes 1938. Das heißt, auch wenn Kohl-Weigand das Werk erst 1955 erworben hat, was unstrittig ist, müsste es restituiert werden, sollte es nachweislich Waldes gehört haben. Der Konflikt dreht sich also um die Eigentümergeschichte.

Außerdem wolle man in Saarbrücken „ungeachtet der auf den Millimeter identischen Maße des Objektes“ nicht anerkennen, dass es sich tatsächlich um das strittige Bild handelt, kritisiert Strelow. Der Stiftung seien zudem Name und Schicksal des früheren jüdischen Eigentümers bekannt, das Werk sei nachweislich zugunsten des NS-Staates 1943 in Berlin auktioniert worden und der bestens vernetzte Kohl-Weigand habe es dann nach dem Krieg als „Profiteur“ des Nazi-Regimes 1955 von der Erbengemeinschaft des „Kriegsgewinnlers“ Otto Staebler erworben. Was zwar nicht strafbar ist, aber moralisch angreifbar.

In der Tat ist man sich auch im Saarlandmuseum darüber im Klaren, dass Kohl-Weigand Kunst während des Zweiten Weltkriegs auch aus offenbar zwangsverwertetem jüdischen Besitz kaufte. In dem Heft „Bilder/Schicksale – Provenienzforschung am Saarlandmuseum“, das die Ergebnisse von zwei Jahren (2015-2017) intensiver Herkunftsforschung vor allem im Bestand der Sammlung Kohl-Weigand dokumentiert, ist dies an mehreren Stellen nachzulesen. Seit 1998 hat die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz zehn Gemälde und 17 Arbeiten auf Papier als Raubkunst anerkannt und restituiert, ist dem Heft zu entnehmen.

„Wir wollen überhaupt nichts verschleppen“, betont Museumsdirektor Roland Mönig. Er und sein Team zeigten sich irritiert, dass Irina Strelow den Fall öffentlich gemacht hat. Das sei ein ganz und gar unübliches Vorgehen. Geradezu „ungerecht“ empfindet Kathrin Elvers-Svamberk, stellvertretende Museumsleiterin,  Strelows Anschuldigungen. Provenienzforschung sei eine langwierige Sache, viele Restitutionen zögen sich über Jahre, erklärt Mönig. „Wir müssen hundertprozentig sicher sein, was die Herkunft und die Eigentumsgeschichte des Werkes betrifft. Wir können uns keine Schnellschüsse erlauben, denn es geht hier um ein Werk aus einer öffentlichen Sammlung“, verteidigt er sein Vorgehen. Einer Restitution müsse das Kuratorium der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz zustimmen, daher müssten die Beweise wasserdicht sein. „Bisher hat Frau Strelow uns zwar starke Indizien, aber noch nicht genügend belastbare Beweise geliefert.“ Mönig betont, dass es im eigenen Interesse des Saarlandmuseums sei, Raubkunst-Fälle aufzuklären. Dazu müsse akribisch geforscht werden, eine Aufgabe, mit der Eva Wolf, Leiterin des Archivs, betraut ist.

Auch sie wundert sich über den Zeitdruck. Seit siebeneinhalb Monaten recherchiere sie – das sei keine lange Zeit für einen komplizierten Restitutionsfall wie der des Slevogt-Bildnisses, bei dem Indizien und Hinweise ausgewertet, verifiziert und ergänzt werden müssten. Sie habe sich mehrfach mit Irina Strelow ausgetauscht und weitere Informationen bei Auktionshäusern und Museen eingeholt. „Wir suchen nach dem entscheidenden Hinweis, woher das Bild kommt“, erklärt Eva Wolf und nennt gleich mehrere Probleme in der Argumentation der Raubkunst-Forscherin. Es gehe  zum Einen um den geringen Schätzpreis des Werkes in der Auktion von 1943. Ein Argument, das Strelow nicht gelten lässt, weil man damals mit Ab- und Aufwertungen konfiszierter Kunst den Kunsthandel manipuliert habe. Bei den Maßen habe man es nicht mit Unterschieden in Millimetern, sondern mit über zehn Zentimetern zu tun, so Wolf. Außerdem könne nicht mit Sicherheit nachvollzogen werden, wer das „Bildnis“ 1943 bei der Auktion eingeliefert habe. Das müsse man aber wissen, um zweifelsfrei zu klären, ob es sich um das Gemälde aus der Waldes-Sammlung handele.

Alle betonen, dass es dafür eine hohe Wahrscheinlichkeit gebe, aber noch keine zufriedenstellend abgesicherte Beweislage. Sollte sich zweifelsfrei erweisen, dass es sich beim ‚Bildnis der Mutter‘ um ein NS-verfolgungsbedingt entzogenes Werk handelt, werde die Stiftung selbstverständlich ein Restitutionsverfahren einleiten, so Mönig.

Provenienzforschung ist also im Grunde kriminalistische Arbeit. Für Mönig und sein Team geht es dabei um den „Prozess der Wahrheitsfindung“, bei dem man sich „gegenseitig die Bälle zuwirft“, um herauszufinden, wem die mutmaßliche Raubkunst einmal gehörte. Für die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz und andere öffentliche Sammlungen ist ein solches Vorgehen essentiell. Handelte man hier leichtfertig, flöge so manchem Museum seine Sammlung um die Ohren. Auf die ist man zu Recht stolz in Saarbrücken. Damit man all die schönen Im- und Expressionisten, die Slevogts, Weisgerbers und Purrmanns guten Gewissens zeigen kann, muss man allerdings wissen, woher sie stammen. Allein von diesen drei Künstlern sind es 144 Gemälde und hunderte Grafiken, die der Stiftung Kulturbesitz 1980 mit der Privatsammlung von Franz-Josef Kohl-Weigand (1900-1972) als für das Saarlandmuseum übergeben wurden. Die Provenienz der allermeisten ist geklärt.

 Auch bei Albert Weisgerbers Gemälde „Im Biergarten“ ist die Herkunft noch nicht geklärt.

Auch bei Albert Weisgerbers Gemälde „Im Biergarten“ ist die Herkunft noch nicht geklärt.

Foto: Raphael Maaß/Stiftung Kulturbesitz/Photographer:Raphael Maass Dipl.

Aber auch ein weiteres Werk ist umstritten: Albert Weißgerbers Gemälde mit dem Titel „Im Biergarten“, ebenfalls aus der Sammlung Kohl-Weigand. Auf dieses Werk erheben die Erben von Sigmund Waldes ebenfalls Ansprüche. Hier ist die Beweisführung noch schwieriger, unter anderem weil es mehrere Versionen des Bildes gibt, wie Eva Wolf erläutert. Auch hier seien weitere Recherchen nötig.

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