Das Saarlandmuseum als neue Schatztruhe

Die Moderne Galerie ist geschlossen, doch die Saarbrücker Kunst hat ein prominentes Übergangsasyl in Metz gefunden. Eine Themenschau in Kooperation mit dem Centre Pompidou arbeitet die Wechselwirkung zwischen deutscher und französischer Avantgardekunst auf.

 Strahlt in Metz mehr als sonst: Pechsteins „Liegende Nackte“ (1911). Fotos: Stiftung Saarländischer Kulturbesitz

Strahlt in Metz mehr als sonst: Pechsteins „Liegende Nackte“ (1911). Fotos: Stiftung Saarländischer Kulturbesitz

Sie sind nicht verrückt, die Franzosen, sondern nur konsequent. Anstrengende Fragestellungen an die Kunstgeschichte sind eine Spezialität der Centre-Pompidou-Equipe, in Paris wie in Metz. Dass die Saarbrücker Sammlung jemals in den Fokus einer Centre-Pompidou-Themenschau rücken könnte, wer hätte es je gedacht?

Die wegen Umbaus geschlossene Moderne Galerie ermöglicht dies nun, und das Kooperationsprojekt "Entre deux horizons/Zwischen zwei Horizonten" entpuppt sich als Glücksfall. Denn weil das Centre Pompidou Gastgeber ist, diktiert es auch den Stil der Präsentation, die die Saarbrücker Kunst - eine Auswahl von 230 Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen - mit Zeitdokumenten kombiniert. Vitrinen erhellen den kulturhistorischen Hintergrund durch Briefe, Atelier-Fotografien oder Kunstzeitschriften aus der Bibliothèque Kandinsky in Paris. Auch sind Bildschirme integriert, auf denen Dokumentaraufnahmen laufen oder aber das erste pazifistische Werk der Filmgeschichte, Abel Glances "J'accuse" (1919). So paart sich ästhetischer Genuss mit gedanklichem Reichtum und Kurzweil. Der in der Modernen Galerie auf ein Selbstgespräch zurückgeworfene Kunstschatz beginnt in Metz zu plaudern, munter und selbstbewusst.

Aufgeblättert wird ein bisher kaum je in Ausstellungen beleuchtetes Kapitel der Kunstgeschichte: Wie haben sich deutsche und französische Avantgardeströmungen seit dem Impressionismus gegenseitig beeinflusst? Welche Übereinstimmungen, Konkurrenzen oder Abschottungen gab es? Fest stand für das Metzer Team bereits vor Beginn, dass der Hauptakzent auf den deutschen Expressionisten liegen muss, schließlich will man die Landsleute, vor allem Pariser, mit Neuem ködern. Und Brücke-Maler und Blauer Reiter - Schwergewichte der Saarbrücker Sammlung -, sie sind für viele Franzosen nun mal immer noch Unbekannte. Warum? Das erfährt man in der "Horizonte"-Schau: Man hält sie für Epigonen der Fauvisten, die man vor dem Ersten Weltkrieg wiederum mit dem Begriff "art boche" - deutscher Schund - abstrafte. Denn es waren in Paris lebende deutsche Kunsthändler und Galeristen wie Daniel-Henry Kahnweiler, die die Expressionisten und später auch die Kubisten förderten. Andererseits hätte sich der Siegeszug der französischen Impressionisten im eigenen Land verzögert, hätte nicht ein Hugo von Tschudi, Direktor der Berliner Nationalgalerie, sie 1896 nicht angekauft - gegen den Widerstand des Deutschen Kaisers. Die Politik, vor allem die nationalistischen Strömungen in beiden Ländern, Kriege und Konflikte, haben die Befruchtung der Kunstszenen immer wieder unterbunden.

Wobei sich nicht alles gleichermaßen hell ausleuchten lässt. Eine lückenlose Darstellung kann nicht gelingen, denn auch die Saarbrücker Sammlung, die hier den Filter bildet, ist nicht ohne Lücken, etwa was die Dada-Strömung oder den Surrealismus angeht. Hier wird's in Metz qualitativ gefährlich dünn. Vor allem aber hat das Saarlandmuseum eine sehr spezielle Entstehungsgeschichte, denn ihr kostbarster Kern stammt aus Zeiten, da an der Saar die Franzosen das Sagen hatten: aus den 20er Jahren und aus der Nachkriegszeit. Doch die Abbildung der französischen Szene gehört bis heute zum Programm. Besonders augenfällig wird dies im letzten Ausstellungsraum mit Erwerbungen der jüngsten Zeit von Tavenne bis Hildebrandt. Der Furor der frühen Avantgarden, die sich längst aus nationalen Zirkeln befreit haben, findet sich freilich nur in Jonathan Meeses brachialer Monumentalkunst "Love Like Blood" (2004) wieder. In unmittelbarer Nähe zu diesem deutschen "Großmaul" wirkt die Alptraumszenerie "For victory" (2006) eines Deroubaix zierlich-charmant.

Der Rundgang ist chronologisch angelegt, bis auf einen mit Grafik bestückten Raum - ein Leuchtpunkt der Schau. Denn hier tauchen von van Gogh über Nolde bis Kricke tatsächlich die weltberühmten Namen auf, die manche Leerstelle bei den Gemälden aufpolstern. Von einem Shooting-Star wie Baselitz konnte man sich in Saarbrücken eben nur Zeichnungen leisten.

Jedes einzelne Werk wird bestens erklärt, allein dies lohnt ein Wiedersehen. Auch erlebt man die Werke, die sich in den noblen, weiten Räumen der Modernen Galerie delikat und vornehm ausnehmen, in Metz, wo dem Besucher die Wände königsblau oder kanariengelb entgegen knallen, frohgemut-draufgängerisch. Insbesondere die Brücke-Bilder laufen zur ästhetischen Bestform auf. Die Franzosen haben nun mal ihre Eigen-Art, um Meisterwerke glamourös auszuleuchten, bis sie an ihrer eigenen Magie Feuer fangen. Nein, im Centre Pompidou läuft keine intellektuelle Parade, wir erleben einen Freudentanz.

29. Juni bis 16. Januar, zehn bis 18 Uhr, Fr, Sa, So bis 19 Uhr, Di geschlossen.

Meinung:

Die harten Lehren aus Metz

Von SZ-Redakteurin Elss-Seringhaus

Ein massenhaft von Touristen besuchter Ort wie das Centre Pompidou bringt Image-Zuwachs, erlaubt Kundenfang - die "Horizonte"-Schau ist eine Ausnahme-Chance. Nun sind uns die Pariser Besucher lieb und wert. Doch was ist mit den Saarländern? Bisher sind seitens des Saarlandmuseums keinerlei Sonderanstrengungen in Sachen Kommunikation zu beobachten. Weder im Saarbrücker Stadtbild noch medial ist das Projekt präsent, von einer innovativen Kampagne keine Spur. Dabei ist just dieses Projekt besonders erklärungsbedürftig. Welcher Saarländer ahnt, dass nicht etwa altbekannte Kunst in andere Räume geschoben wurde, sondern dass aufregendes Neuland zu entdecken ist? Auf diesem Feld bietet Stiftungsvorstand Roland Mönig eine offene Flanke.

 Der Blaue Reiter ist bei Franzosen eher unbekannt. Hier A. v. Jawlenskys „Schwarze Haare“ (1912).

Der Blaue Reiter ist bei Franzosen eher unbekannt. Hier A. v. Jawlenskys „Schwarze Haare“ (1912).

Und noch ein Manko deckt diese Metzer Kooperation auf: In Saarbrücken umgeht man die kulturhistorische Verortung der Kunst, man meidet die Form der Themenausstellung. Vor zehn Jahren sah man hier "Die Brücke und die Südsee" als letztes Projekt dieser Art. Nun machen uns die Metzer vor, wie grandios sich die Saarbrücker Sammlung in neue erhellende Zusammenhänge einbetten lässt. Man kann nur hoffen, dass diese Zusammenarbeit als Initialzündung wirkt und dass Mönig und sein Team jetzt Themenkonzepte als attraktive Option wahrzunehmen lernen und sie fest in die Programmpolitik für ihr zukünftiges Museum aufnehmen.

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