Wolfgang Niedecken in Saarbrücken Das Saarland und der Schönheitsschlaf

Saarbrücken · Wolfgang Niedecken hat in Saarbrücken aus seinen BAP-Tournee-Erinnerungen gelesen, in denen auch das Saarland vorkommt: als Region, „wo man immer noch auf den Strukturwandel hofft“.

 Wolfgang Niedecken, der in Luxemburg in den 80er Jahren mal „ordentlich über den Tisch gezogen“ wurde.

Wolfgang Niedecken, der in Luxemburg in den 80er Jahren mal „ordentlich über den Tisch gezogen“ wurde.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Eine schöne Handschrift – lässig geschwungen und meist leserlich. Wer sich dennoch schwer tut mit Wolfgang Niedeckens Schrift, für den sind seine Tournee-Aufzeichnungen auch nochmal ganz herkömmlich in getippter Form abgedruckt, in der hinteren Hälfte seines Buchs „BAP – Das Logbuch der Jubiläumstour“. 70 Konzerte gab Niedecken 2016 vor über 200 000 Zuschauern, an jedem Tourtag schrieb er zwei Seiten auf, „um die vergangene Zeit mit meinen Möglichkeiten festzuhalten“, wie er im Vorwort schreibt, wobei für ihn auch „Banalität zur Authentizität gehört“: etwa Hotelgrußbotschaften à la „unser reichhaltiges Frühstücksbüffet“ oder „Ankommen, loslassen und einfach locker in entspannter Atmosphäre genießen“, mit denen Niedecken seine Niederschriften liebevoll beklebt hat. Das macht das Buch auch zu einem collagefreudigen Kunststück. Niedecken garniert seine Erinnerungen mit Postkarten, Plakaten, Stadtplänen, Programmflyern (auch einem aus der Saarlandhalle), Zeitungsausschnitten (über BAP, Dylan, Trump und Merkel) – und mit der Anzeige für eine „Milchschokolade mit knackig gerösteten Erdnüssen“. Das sind schon mal vergnügliche 165 Seiten.

Die zweite Buchhälfte bietet Niedeckens Rückschau noch einmal lesefreundlich gesetzt/gedruckt, mit vielen Fotos, die seine Frau Tina Niedecken während der Tournee aufnahm: Einige klassische Konzert-Motive sind dabei, vor allem aber Bilder aus dem Alltag einer Tournee, bei PR-Terminen etwa, bei Treffen mit Fans, Kollegen oder Freunden, darunter der legendäre „Rockpalast“-Macher Peter Rüchel oder Thees Ullmann von der Band Tomte. Das macht das Buch auch zu einem prächtigen Foto-Band, dessen Herzstück eben die Erinnerungen Niedeckens sind – geordnet nach Konzertterminen und -orten.

Da erzählt er von Widrigkeiten wie einem Stromausfall in Siegen und der miesen Akustik in einer Halle in Neu-Ulm, die für Basketballspiele gebaut wurde. Eine Halle im Sauerland erweist sich als ebenso labyrinthisch wie das Zelt bei einem sommerlichen Freiburger Festival als brütend heiß. In Hessen stört ein nahes „Ballermann“-Festzelt, „wo unmusikalische Menschen zu unmusikalischen Geräuschen tanzen“. Egal, ein gut abgehangener Profi wie Niedecken steckt das weg, auch wenn der Schönheitsschlaf danach schon mal länger dauern kann – der Tourneerekord liegt bei elfeinhalb Stunden.

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Foto: Hoffmann und Campe

Auch Luxemburg und Saarbrücken standen auf dem Tourneeplan. Auf dem Weg dahin fährt der BAP-Bus an Pirmasens vorbei, „wo die Schuh-Industrie komplett den Bach runtergegangen ist“. Die modernen Bauten in Esch findet Niedecken „sehr funktional, aber irgendwie auch seelenlos“ und erinnert sich an einen Luxemburger Auftritt in den 80ern, als die Band „ordentlich von einem cleveren örtlichen Veranstalter über den Tisch gezogen“ wurde. In Saarbrücken übernachtet er am Deutsch-Französischen Garten, der ihn mit Wasserorgel und Sessellift an die Kölner Bundesgartenschau 1957 erinnert (dem Jahr seiner Einschulung) – nur eine Konzertmuschel wie im DFG gab es da nicht. In der Saarlandhalle erfreut er sich an den „mittlerweile patinierten Plakaten“ im Treppenhaus und dann am Publikum, das „abgeht wie ein Zäpchen“. Das Saarland selbst empfindet er als Region, „wo man immer noch auf den Strukturwandel hofft“.

Eine Tournee mag vor allem im Hotel, Bus und in der Konzerthalle ablaufen, doch das Weltgeschehen bleibt nicht außen vor: In Erfurt will Niedecken sein Publikum gar nicht „wieder mit ihren Rechtspopulisten alleine lassen“, vor allem nicht mit dem AfD-Mann Björn Höcke, den Niedecken nun  doch nicht mehr für einen Comedian hält; die Band spielt in Chemnitz, als Militärs in der Türkei putschen („alles sehr merkwürdig“), und morgens um sieben in Bern ist die Welt gar nicht mehr in Ordnung, denn Donald Trump hat die Wahl gewonnen: „Die dümmsten Schafe wählen ihre Schlächter selber.“

Ungleich milder ist da der  Blick auf die Kasseler Stadthalle, die originell konstruiert scheint, aber in der Akustik schwächelt. Das Synonym der Band für solche Bauten: „Hauptsache Architekturpreis!“. Kassel ist eine der letzten Stationen der Tournee und damit des Buchs, in dem man Niedecken stets eine gewisse Demut bei der Arbeit anmerkt. Hier schreibt keine gepeinigte Künstlerseele, sondern ein Musiker, der weiß, „welche Gnade und welches Geschenk es ist, mein Leben auf diese Art leben zu dürfen“. So einfach ist das.  

Wolfgang Niedecken: BAP – Das Logbuch der Jubiläumstour. Hoffmann und Campe, 254 Seiten, 32 Euro.

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