Ausstellungen Kleine Risse in amerikanischen Fassaden

München · Die Leere hinter der Oberfläche: Münchens Museum Brandhorst zeigt das malerische Werk des Pop-Art-Vorläufers Alex Katz.

  Alex Katz’ 1960 entstandenes, großformatiges Gemälde „The Black Dress“, das Variationen seiner Frau Ada (und zugleich sein bevorzugtes Modell) zeigt.

Alex Katz’ 1960 entstandenes, großformatiges Gemälde „The Black Dress“, das Variationen seiner Frau Ada (und zugleich sein bevorzugtes Modell) zeigt.

Foto: Haydar Koyupinar, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München © Alex Katz, VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Foto: Haydar Koyupinar

Auch wenn immer wieder behauptet wird, dass Alex Katz’ Porträts von makelloser Perfektion seien, so ist dies doch nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich baut der mittlerweile 91-Jährige, der in seinem typenhaften Realismus zu den großen Vorläufern der Pop Art gehört, in seinen oftmals riesigen, nicht von ungefähr an Werbeplakate erinnernden Porträts immer wieder charakteristische Fehler ein: falsch gesetzte Schatten, perspektivische Verzerrungen, leicht schiefe Proportionen, die in ihrer absichtsvoll malerischen Unfertigkeit die kühle Strenge seiner Malerei aushebeln.

Es ist daher gerade nicht die ihr notorisch attestierte vermeintliche Perfektion, die den untergründigen Reiz der sehr, sehr amerikanischen Oberflächenkunst von Alex Katz ausmacht. Es sind vielmehr die versteckten Brüche in seinen Gesichterfassaden, die – jedenfalls in jenen Bildern, die aus seinem längst nicht durchgängig überzeugenden Werk herausragen – ihnen eine, man kann es nicht anders nennen, erstaunliche Sogkraft verleiht. Vor den im Münchner Museum Brandhorst stehenden Großformaten von Katz stehend, fragt man sich Mal um Mal, was einen dann doch festhält vor diesen Amerikas amüsierwillige Freizeitgesellschaft repräsentierenden, eher blutleeren, schablonenhaften Figuren. Setzen vielleicht die malerischen Fehler in ihrer Darstellung darin jene Widerhaken, die ein schnelles Entlangdefilieren an diesen Gemälden verhindern? Blickt man durch diese kleinen Risse nicht hinter die Fassaden?

Rund 90 Arbeiten aus 60 Jahren zeigt die Ausstellung, darunter Schlüsselwerke wie „The Black Dress“ von 1960. Das vier Quadratmeter große Gemälde zeigt Katz’ Frau (und lebenslanges Lieblingsmodell) Ada in sechsfacher Abfolge in immer anderen Positionen. Bei allem puppenartigen, kantigen Ausdruck gleicht das Bild einer malerischen Meditation über die Frage, was personale Identität ausmacht. Ebenso wenig, wie die multiplizierte Ada im schwarzen Abendkleid ersichtlich immer dieselbe ist, sind auch wir konstante Persönlichkeiten. Wie sehr Katz’ Malerei zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion changiert, offenbart im Brandhorst seine geradezu japanisch anmutende Landschaftsmalerei. Schon in „January 4“ von 1992, das Ada mit violettem Hut in einer verschneiten, kahlen Winterlandschaft zeigt, scheint sich der Naturhintergrund in einem Liniengeflecht aufzulösen. In seinen im zweiten Ausstellungsteil gezeigten menschenleeren Landschaften setzt Katz noch sehr viel konsequenter auf einen malerischen Gestus, der nichts mehr gemein hat mit den statischen Stilisierungen seiner Porträtkunst. Seine Landscapes widmen sich letztlich ganz der Materialität des Lichts – sei es der Magie eines Schneehimmels, dem Widerschein schräg einfallenden, späten Nachmittagslichts oder der Endlosigkeit ausstrahlenden Durchsicht durch schütteres Blattwerk in einem „3 P.M. November“ betitelten Gemälde.

Dass man Katz Unrecht tut, sofern man ihn auf seine bisweilen allzu plakativen Jetset- oder Mode-Porträts reduziert, die auf den ersten Blick nur kalkuliert und glatt wirken, illustriert der dritte Teil der Schau, der uns allerlei Studien und Vorzeichnungen gängiger Katz-Motive auftischt. Offenbaren diese Werkstattbilder doch, dass selbst Katz’ scheinbar fließbandhaft produzierten, dem flüchtigen Blick nach austauschbar wirkenden Porträts umfangreiche Erprobungen vorausgehen. Die Inszenierung des einen Moments, um den es Katz immer geht, ist kompositorisch dann doch sehr viel ausgeklügelter als dies zunächst den Anschein hat. Als die künstlerische Avantgarde in den USA in den 50ern auf den Abstrakten Expressionismus setzte, machte der 1927 in Brooklyn als Sohn jüdisch-russischer Einwanderer geborene Katz nicht mit, sondern blieb unbeirrt klassischen Bildsujets verhaftet: Paarszenen, Frauengesichter, Gruppenporträts (darunter das in bonbonfarbene Trikots gesteckte Tanz-Ensemble des Choreografen Paul Taylor, für das Katz in den 60ern zahlreiche Bühnenbilder entwarf). Katz konturiert seine Figuren zwar in geradezu comicartiger Vereinfachung. Und doch drücken die Gesichter dieser typenhaften Gestalten gerade durch ihren reduzierten Ausdruck eine Leere, Vergeblichkeit und Austauschbarkeit aus, die die illusionsversessene amerikanische Kultur Lügen straft. Gerade weil die Porträtierten nie offenbaren, was in ihnen vorgeht, spiegeln sie das Verstellung feiernde amerikanische Lebensprinzip. Die tiefenlose, nackte Flächigkeit ihrer Gesichter und die hemmungslos kultivierte Oberflächenkunst von Katz taugen insoweit als Bestandsaufnahme einer längst über den Großen Teich hinweg missionierten, schalen Lebensform made in USA.

 „January 4“ von 1992.

„January 4“ von 1992.

Foto: Ulrich Ghezzi © Alex Katz, VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Storz, Kirsten (BStGS)

Bis 22. April (Di, Fr bis So: 10-18 Uhr, Do: 10-20 Uhr).
Das Koblenzer Ludwig Museum zeigt bis 28. April unter dem Titel „Bigger is better“ einen Querschnitt des druckgraphischen Werks von Katz.

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