Menuhin-Festival Gstaad Über allen Gipfeln ist Bach

Gstaad/Saanen · Das Menuhin-Festival in Gstaad ist das unaufdringlichste unter den großen Sommer-Musikfestivals. In den Schweizer Bergen verbinden sich Top-Klassik, altes Geld und neuer Reichtum so dezent wie perfekt.

 Die Camerata Bern mit Geigerin Patricia Kopatchinskaja (links) beim Eröffnungskonzert des Menuhin-Festivals. Die spätgotische Saaner Kirche schätzte schon Namensgeber Yehudi Menuhin als Konzertort.

Die Camerata Bern mit Geigerin Patricia Kopatchinskaja (links) beim Eröffnungskonzert des Menuhin-Festivals. Die spätgotische Saaner Kirche schätzte schon Namensgeber Yehudi Menuhin als Konzertort.

Foto: Raphael Faux/Menuhin Festival/Raphael Faux

„Gehen Sie auch zum Menuhin?“, will die Dame an der Hotelrezeption wissen. Zum Menuhin? Bezaubernd, diese Schweizer Sparsamkeit, denn Festival wäre noch zu ergänzen. Das aber ist dann auch das Einzige, was einen angesichts dieses Bilderbuchbergpanoramas noch irritieren könnte. In und um Gstaad und Saanen feiert man noch bis Anfang September ein Weltklasse-Musikfestival so angenehm unaufdringlich, dass man bloß staunen kann. Fürs Diner nach dem Eröffnungskonzert räumt etwa ein ortsansässiger Blumenhändler fix sein Gewächshaus frei. Man denke sich derart Unprätentiöses mal in Salzburg; da würden die Großsponsoren aber sowas von Servus sagen.

Gewiss, auch beim Menuhin-Festival fließt der Begrüßungsschampus ungehemmt zwischen Kakteen und Koniferen, doch man redet im Nobel-Skiort weder über altes Geld noch neuen Reichtum. „Wer protzen will, soll nach St. Moritz gehen“, lautet stets die Replik, erkundigt man sich nach der legendären Prominenz, die gern mal in Gstaad aus­spannt. Ein paar Gläschen Schaumwein weiter erfährt man immerhin, dass Roger Moore meist dann zum Physiotherapeuten eilte, wenn das übrige Gstaad Mittagsschläfchen hielt. Man sollte wohl nicht mitbekommen, dass es auch James Bond im Kreuz zwickt. Und Sean Connery, den man hochalpin gelegentlich mal beim Podologen antraf, trage die Strümpfe gern links, heißt es. Damit die Naht nicht kneift; 007 ist wohl ein Sensibelchen.

Gstaads klangvollster Name aber war und bleibt Yehudi Menuhin. In den 1950ern suchte der Jahrhundert-Geiger und Philanthrop in den Bergen mit der Familie eigentlich nur Ruhe. Dann aber ließ er sich doch dazu hinreißen, mit ähnlich berühmten Musikerfreunden wie dem Sänger Peter Pears und dem Cellisten Maurice Gendron in der Saaner Kirche zu konzertieren: der Nukleus für das Menuhin Festivals. Inzwischen ist das bereits im stolzen 63. Jahr. Es lockt mit 60 Konzerten und Klassikgrößen wie András Schiff, Sol Gabetta und Cecilia Bartoli. Intensiv fördert man den Nachwuchs, die Festival-„Academy“ wird weithin gerühmt. Sogar ein eigenes Orchester formiert man im Sommer, das dann auch als Botschafter des Festivals durch die Weltgeschichte tourt. Und um auch andere große Orchester auf 1050 Metern Höhe hören zu können, schlägt man sogar ein riesiges Konzertzelt auf in Gstaad, welches trotz der sündteuren Chalets und eines eigenen Flughafens letztlich ein Bergdorf geblieben ist.

Die spätgotische Saaner Kirche, die mit ihren fast 600 Jahre alten Wandmalereien alleine schon eine Reise wert wäre, soll Menuhin schon wegen ihrer Akustik geschätzt haben: Dem Bauch eines Cellos gleiche sie. Klar, dass das Gotteshaus mit seinem sechseckigen Glockenturmdach immer noch Herzort des Festivals ist. Ihre Qualitäten sind auch wirklich frappant. Wie ein Brennglas konzentriert sie den Klang, verdichtet ihn, macht ihn sämig, wenn etwa Geigerin Patricia Kopatchinskaja und Pianistin Polina Leschenko mit der vorzüglichen Camerata Bern Mendelssohns Konzert für Violine, Klavier und Orchester spielen. Betörend romantisch legen sie das d-Moll-Konzert an und innig zugleich mit bravourösen Soli. Schon aber Enescus Oktett C-Dur, hier für Streichorchester gefasst, sprüht bei ihnen vor Temperament und folkloristischer Musizierlust. Wobei die Cremarata auch die komplexe Kontrapunktik transparent herausarbeitet. Grandios!

Nur einen Abend später ist diese Kirche – im Grunde ja bestimmungsgemäß – ein Andachtsraum. Sir András Schiff, lange schon treuer Gast des Menuhin-Festivals und auch Lehrender für junge Pianisten der „Academy“, hat sich „Bach Pur“ verschrieben, genauer, dem ersten Teil des „Wohltemperierten Klaviers“. Schiff beginnt den steten Wechsel von Präludien und Fugen, diesen pianistischen Pilgerweg durch Dur und Moll, wie ein Gebet. Beinahe schon asketisch hält er zunächst auf Formenstrenge. Musik so konsequent wie Mathematik. Aber Schiff ist eben auch ein ungemein eleganter Pianist, ein bezwingender Gestalter, der auch das Poetische bei Bach zu finden weiß und diese Schönheit in einen einzigartig noblen Ton fasst, aus einer Sammlung fürwahr einen Zyklus formt.

Vielleicht ein bisschen kühn, direkt nach einem solchen Könner, die „Jeunes Étoiles“ spielen zu lassen – in der Kapelle Gstaad. Wo die beiden Mittzwanziger Dmitry Smirnov (Geige) und Denis Linnik (Klavier) mit kargem Nachhall klarkommen müssen. Schuberts Grand Duo (D 574) entfaltet da auch wenig Glanz, mit Bartoks Rhapsodie für Violine und Klavier Nr. 1 blasen die beiden aber zum Sturm, feurig und mitreißend. Auch wenn über dem Kapellchen die Mittagssonne scheint, da sind tatsächlich mit Smirnov und Linnik zwei Sterne aufgegangen – „beim“ Menuhin.

Das Menuhin Festival in Gstaad läuft noch bis 6. September.

  Blick auf die Saaner Kirche, einem zentralen Ort des Festivals, mit dem Nobel-­Skiort Gstaad im Hintergrund.

Blick auf die Saaner Kirche, einem zentralen Ort des Festivals, mit dem Nobel-­Skiort Gstaad im Hintergrund.

Foto: Raphael Faux/Menuhin Festival/Raphael Faux
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