Ausstellungen Auch Durchscheinendes führt in die Tiefe

Luxemburg · Luxemburgs Mudam zeigt in einer großen Einzelschau das Werk der deutschen Künstlerin (und Ex-„Spex“-Redakteurin) Jutta Koether.

  Zwei typische Spätwerke Jutta Koethers. Unten „Bond Freud National Galery“ – James Bond studiert Lucian Freud.

Zwei typische Spätwerke Jutta Koethers. Unten „Bond Freud National Galery“ – James Bond studiert Lucian Freud.

Foto: Rémi Villaggi-Metz/Mudam Luxemburg/Rémi Villaggi-Metz

Es ist dies eine Malerei, die in ihrer charakteristischen stumpfen Farbigkeit und ihrem ausgeprochenen Rot-Faible eine gewisse Unverwechselbarkeit hat. Um das Werk der deutschen Künstlerin Jutta Koether in seiner ganzen, äußerst disparaten Vielfalt zu zeigen, nutzt das Luxemburger Mudam nicht nur sein gesamtes Obergeschoss (Ost- und Westgalerie), sondern hat auch noch im Erdgeschoss-Pavillon eine Art Studierkabinett eingerichtet, in dem eine audio-visuelle Installation Koethers kunstgeschichtliche Prägungen offenlegt. Sie reichen von der italienischen Renaissancemalerei über den klassizistischen Barock (etwa Poussin) und den französischen Impressionismus (Manet und Cézanne) bis hin zu dem großen modernen Aktmaler Lucian Freud.

Koether, Jahrgang 1958, fing als Autodidaktin an. Als sie im Dunstkreis der Neuen Wilden um Martin Kippenberger in den Achtzigern nach und nach zur Malerei fand, hatte sie sich bereits als Musikjournalistin des legendären Magazins „Spex“ einen Namen gemacht und trat nebenbei als Musikperformerin zusammen mit der Gründerin der Noise-Rockband „Sonic Youth“, Kim Gordon, auf. Anfang der 90er zog Koether dann für einige Jahre nach New York, wo sie allmählich ihren eigenen Malduktus fand. Es sind nicht zuletzt ihre damals entstandenen, farblich noch schier überquellenden Großformate der 90er, die einen in Luxemburg zunächst in Bann ziehen. Im Gegensatz zu ihrem späteren, den Kern der Ausstellung ausmachenden und ganz auf gebrochene, sparsam aufgetragene Farben setzenden Werk, offenbart Koether darin einen dichten Farb- und Liniendschungel, dessen Tiefenwirkung bemerkenswert ist.

Im vergangenen Herbst war die „Tour de Madame“ betitelte Koether-Retrospektive bereits im Münchner Museum Brandhorst zu sehen, nachdem sie zuvor in Porto Station gemacht hatte – in der Serralves Foundation, wo die heutige Mudam-Direktorin Suzanne Cotter zuletzt das Zepter schwang. Kurzum: Cotter hat die von ihr mitkuratierte Schau also von dort an ihre neue Wirkungsstätte mitgenommen. Man fragt sich, weshalb dies im Mudam tunlichst unter den Teppich gekehrt wird. Weil der Eindruck vermieden werden sollte, dass Cotter nur einen Neuaufguss liefert?

Dabei zeigt das Werk Koethers, sofern man es nicht beim ersten flüchtigen, einen eher skeptisch zurücklassenden Eindruck belässt, im Detail große Qualitäten. Offenbart sich doch dann, dass hinter der malerisch beinahe unbeholfen wirkenden Figürlichkeit dieser Bilder ein ganzes Motiv-Arsenal aufscheint, dessen Dekodierung erst nach und nach gelingt. Um mit der Ostgalerie zu beginnen, die (ergänzt um drei frühere Großformate Koethers) die titelgebende 15-teilige Werkgruppe „Tour de Madame“ umfasst, so regiert in diesen Bildern eine kühle Blässe: Aus dem schneidenden Leinwandweiß schälen sich in gebrochenem Rot immer wieder Nackte heraus. Umgeben von einem puzz­leartigen Geflecht, in dem sich als wiederkehrende Elemente Girlanden, Mosaik-Einsprengsel, Farn- und Monsterablätter, friesartig angeordnete Cézanne-Äpfel und dazu jeweils rot markierte Bildecken ausmachen lassen. Eine collageartige Malerei resultiert daraus, die eine transparente Handschrift trägt: ein Mix aus feinen Schraffuren, reduzierter Farblichkeit und viel atmendem Weiß, aus dem die Nackten jeweils in markantem Konturen, Studierobjekten gleich, herausstechen. Dadurch, dass der Zyklus auf einem gläsernen Halbrund präsentiert wird, ergeben sich dabei immer neue Blickachsen.

In der Westgalerie spannt das Mudam dann anhand 45 weiterer Werke der mittlerweile in Hamburg Malerei lehrenden Künstlerin einen Bogen von Koethers Anfängen bis in die Nullerjahre. Die Qualitätsunterschiede sind frappant: Während Frühwerke wie das in knalliges Rot getauchte Gemälde „100 % (Portrait of Robert Johnson)“ in seinem dilettierenden Ausdruck an üble Hobbymalerei erinnern, besticht Koethers davorstehender Plexiglaskasten mit 86 blutroten Kleinformaten unter dem Titel „Universal­Wealth“ im Kleinteiligen mit ästhetischer Brillanz. Wie überhaupt dieser zweite Teil ein irritierendes Nebeneinander bereithält: Hier Koethers Assemblagen, die schmerzhafte künstlerische Verirrungen sind; dort die drei eingangs erwähnten Großformate, in deren Tiefen man sich minutenlang verlieren kann. Am Ende aber lassen sich auch anhand dieses vordergründig etwas potpourrihaft anmutenden Werkbestandes gewisse Grundlinien ablesen: Koethers künstlerischer Weg bog nicht nur früh vom Klein- zum Großformat ab (anhand des hier Gezeigten, so muss man sagen, aus guten Gründen), sie tauschte mit den Jahren auch ihre expressive Farbigkeit gegen eine sehr viel durchscheinendere ein. Auch dies mit viel Gewinn.

Nicht zuletzt deshalb, weil sie die kunstgeschichtlichen Spuren in ihrem Werk, die in den Anfängen noch sehr plakativ anmuten (etwa wenn sie Van Goghs berühmten Sternenhimmel in schrillem Rot kopiert oder Manets Spargelbündel imitiert), später stärker verwischt, wodurch ihre Malerei ihre ikonografische Vordergründigkeit verlor und zu sich selbst fand. So kann sie sich später dann auch mühelos erlauben, James Bond in der National Galery mit Lucian Freud zusammenzubringen – ohne Gefahr zu laufen, im Gaghaften steckenzubleiben. Nein, diese luftigen Tableaux erzählen uns viel von kreatürlicher Verletzlichkeit. Weshalb Koethers palimp­sestartige Großformate (allen voran „Hot Rod (after Poussin“)) alleine schon die Fahrt nach Luxemburg wert sind.

Bis 12. Mai. Do bis Mo: 10 bis 18 Uhr; Mi: 10 bis 21 Uhr.

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