Ausstellung im KuBa Striche, die die Welt bedeuten

Saarbrücken · Seltener Glücksfall: Das Saarbrücker KuBa zeigt das zeichnerische Werk der südkoreanischen HBK-Meisterschülerin Ki Youn Kim.

 Blau trifft Gelb und findet Grün: „Micromégas II“ (Tusche und Acryl auf gelbem Papier, 2018) von Ki Youn Kim.

Blau trifft Gelb und findet Grün: „Micromégas II“ (Tusche und Acryl auf gelbem Papier, 2018) von Ki Youn Kim.

Foto: Ki Youn Kim/KuBa/Ki Youn Kim

Kein Mensch, nirgends. Auf keiner der 61 Arbeiten, jede aus Abertausenden winzigster Striche bestehend, aus denen plastische, magische Landschaften und Architekturen erwachsen, die einen sprachlos machen. Weil man nicht glauben, nicht begreifen kann, was man doch sieht: Dass die Südkoreanerin Ki Youn Kim alleine aus Myriaden solcher feinster Schraffuren derart komplexe, dreidimensionale Bildwelten zu konstituieren weiß. Kurzum: Die Ausstellung im Saarbrücker KuBa ist ein Ereignis, ein einziges großes meditatatives Glanzlicht.

Ki Youn Kims künstlerisches Werk offenbart eine berückende Vermählung von ostasiatischer Zeichenkunst und Tuschemalerei auf der einen und westlicher Druckgrafik in der Tradition des großen Radierers und Buchillustrators Gustave Dorés auf der anderen Seite. 1978 in Seoul geboren, wo sie später Bildhauerei studierte, begann Kim 2006 zunächst in Bonn und ab 2008 dann an der Saarbrücker Kunsthochschule ein Malereistudium. Nach ihrem Diplom 2012 dann zur Meisterschülerin von Gabriele Langendorf ernannt, hat Ki Youn Kim in den vergangenen zehn Jahren ihren nicht anders als meditativ zu nennenden Zeichenstil auf eine Weise perfektioniert, die ihren unergründlichen Arbeiten eine rätselhafte, den Betrachter schwerlich loslassende Aura verleiht.

Jede ihre Arbeiten der Jahre 2013 bis 2019 – angefangen mit der im KuBa erstmals als dreiteiliger Block ausgestellten 37-teiligen kleinformatigen Werkserie „Landschaften“ über die beiden großflächigeren Reihen „Ferne Nähe“ und „Wandel“ bis hin zu drei gelbstichigen Blättern aus ihrer neuen „Micromégas“-Serie – gleicht einer Tiefenerkundung in der Fläche. Schicht auf Schicht erstrichelt Ki Young Kim mit einem japanischen Fine Liner-Stift imaginäre Räume, die – dies ist vielleicht das größte Kunststück dieser filigranen Zeichnungen – ihre markante Plastizität unter Verzicht auf jedwede Konturlinien gewinnen.

Kurator Andreas Bayer weist in seinem profunden Begleittext zur Ausstellung mit Blick auf Kims Motivkanon (surreal anmutende Naturräume, in die als irritierende Landmarken meist verwaist wirkende Architekturen hineingestellt sind) darauf hin, dass diese Zeichnungen Dinge zeigen, „die irgendwo sind, wo sie nicht hinzugehören scheinen, die fremd an einem Ort wirken oder die den Ort zu einem fremden Ort machen“. Hier ein Turm, den ein Gerüst aus weißen Lichtbögen zu ummanteln scheint; da von fensterlosen Quadern oder Industriegebäuden durchsetzte Landschaften; dort gezeichnete Luftaufnahmen von Wäldern, durch die sich eine Wegeband zieht, das wie ausgestanzt wirkt aus dem weißen Blattgrund.

Selbst für eine kleinformatige Zeichnung brauche sie mehrere Tage, sagt Ki Youn Kim. Ihr Entstehen ist meditative Versenkung und harte körperliche Arbeit in einem. Jede einzelne Arbeit ist ein mühsam erstelltes Fluidum aus Hell- und Dunkelübergängen. Jeder Grauton ist dabei genauso wie jede Schwarzansammlung nach dem Prinzip „von Verdichtung und Auflösung der Farbmaterie“, wie Andreas Bayer es treffend formuliert, aus Einzelstrichen segmentiert. Am Anschaulichsten wird Kims Arbeitsweise in ihrer „Micromégas“-Serie (der Titel spielt auf die gleichnamige philosophische Erzählung Voltaires von 1752 an, die vom Besuch eines Außerirdischen gleichen Namens auf der Erde handelt). Während Kim in ihren sonstigen Arbeiten lediglich Außenräume imaginiert, überlagern sich in den drei „Micromégas“-Blättern Innen und Außen. Auf gelbem Papier evoziert sie hier mit einem blauen Fine Liner, mittels dessen die Grünstichigkeit dieser Bilder zustandekommt, jeweils ein mit Stühlen, Lampen und Fenster angedeutetes Interieur, in das die Außenwelt durch die Türen entweder förmlich hineinquillt oder aber die Zimmer mit Miniaturbergen und Portalen bevölkert sind. Wenn man so will, sind diese drei Blätter Paradestücke einer Illustrationskunst, die ohne Kims Verankerung in der asiatischen Miniaturmalerei wohl kaum denkbar wäre.

Und so steht man denn auch beglückt vor diesen Arbeiten und betrachtet sie fast ein wenig andächtig und reliquiengleich. Nichts wie hin!

 Eine der Zeichnungen aus der 37-teiligen Werkgruppe „Landschaften“.

Eine der Zeichnungen aus der 37-teiligen Werkgruppe „Landschaften“.

Foto: Ki Youn Kim/KuBa/Ki Youn Kim

Bis 26. Mai. Di, Mi und Fr: 10 bis 16 Uhr; Do und So: 14 bis 18 Uhr.

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