Filmkunst Chinesischer Dokumentarfilmer gewinnt in Locarno

Locarno · (dpa) Der chinesische Regisseur Wang Bing gilt als einer der herausragenden Dokumentarfilmer des Landes. Auf dem Filmfestival in Locarno hatte der Filmemacher so wenig mit dem Goldenen Leoparden gerechnet, dass er zur Verleihung nicht einmal eine Dankesrede vorbereitet hatte. Der Preis für seinen Streifen „Mrs. Fang“ über das Sterben einer an Alzheimer erkrankten Frau kam auch für Kritiker überraschend, da seine Filme keine leichte Kost sind. Wang Bing ist bekannt für seinen „gewöhnlich auf das Wesentliche beschränkten, kompromisslosen Stil“, so das Hollywood-Magazin „Variety“.

 Der chinesische Regisseur Wang Bing

Der chinesische Regisseur Wang Bing

Foto: dpa/Urs Flueeler

Die Auszeichnung sei ihm „eine große Ehre“, sagt Wang Bing später in einem Interview, das die Organisatoren veröffentlichten. „Ich möchte es gerne als den Start meiner zukünftigen Projekte ansehen“, sagt der Regisseur, der 2004 mit seinem Kinodebüt „Tie Xi Qu: West of the Tracks“ bekannt wurde. Über neuneinhalb Stunden schildert der dunkle Dokumentarfilm den Niedergang der staatlichen Schwerindustrie im Nordosten, dem chinesischen „Ruhrgebiet“.„Das Wichtigste für mich ist, dass meine Dokumentationen die Wahrheit des Lebens widerspiegeln.“ In China sei es wegen der Zensur sehr schwierig, Geldmittel für unabhängige Filme zu finden. Da die Kosten für fiktionale Filme sehr hoch seien, habe er Dokumentationen gewählt, die ihm mehr Freiheit böten.

Der 1967 in der Provinz Shaanxi geborene Regisseur gehört zu der Generation von Filmemachern, die von der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 in China beeinflusst wurde. „Er konstruiert alternative, bildfokussierte Narrative, die den etablierten Diskursen über das heutige China zuwiderlaufen und minutiös die schwierigen sozioökonomischen Lebensbedingungen in einem autoritären Regime beleuchten“, heißt es in der Vorstellung einer Retrospektive zu seinem Werk auf der laufenden Documenta in Kassel.

Manches Erstaunen lösten auch die Ehrungen der besten Schauspieler aus. Die Deutsche Johanna Wokalek in „Freiheit“ und der US-Amerikaner Harry Dean Stanton in „Lucky“ zählten zu den Favoriten. Ausgezeichnet wurden jedoch die Französin Isabelle Huppert in der Rolle einer unsympathischen Lehrerin in „Madame Hyde“ (Frankreich/ Belgien) und der Däne Elliott Crosset Hove als ein in Gewalt verstrickter Arbeiter in „Winterbrüder“ (Dänemark/ Island).

Der Spezialpreis der Jury ging an den brasilianisch-französischen Spielfilm „Gute Manieren“ (Regie: Juliana Rojas, Marco Dutra). Das Familiendrama erzählt die Geschichte eines Werwolfs. Überraschend weitet sich diese Horror-Story zum scharfen Kommentar auf die Zunahme der Profitgier in der westlichen Welt. Die Hoffnungen deutscher Filmschaffender haben sich nicht alle erfüllt, aber doch einige. Für das von Produzenten aus Deutschland, der Dominikanischen Republik und Argentinien finanzierte Drama „Cocote“ von Regisseur Nelson Carlo de Los Santos Arias (Dominikanische Republik) gab es den Preis für den Besten Film der dem Experimentellen gewidmeten Sektion „Signs of Life“.

 Der Däne Elliot Crosset Hove

Der Däne Elliot Crosset Hove

Foto: dpa/Urs Flueeler

Und noch einen Erfolg gab es für das deutsche Kino. Der außerhalb des Wettbewerbs gezeigte Spielfilm „Drei Zinnen“ von Regisseur Jan Zabeil gewann den „Variety Piazza Grande Award“. Dieser Preis wird vom US-amerikanischen Branchenblatt „Variety“ an einen künstlerisch überzeugenden Film mit Chancen auf einen Kassenerfolg vergeben. Der Publikumspreis ging an die luftige US-amerikanische Komödie „The Big Sick“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort