Interview Burhan Qurbani „Filme werden wieder politischer“

Berlin · Die Neuverfilmung von „Berlin Alexanderplatz“ durch Regisseur Burhan Qurbani geht ins Rennen um den Goldenen Bären der Berlinale.

 Regisseur Burhan Qurbani hatte sich als Abiturient durch den Roman „Berlin Alexanderplatz“ gequält, wie er sagt. 20 Jahre später nimmt er sich den Klassiker in einer Neuverfilmung vor.

Regisseur Burhan Qurbani hatte sich als Abiturient durch den Roman „Berlin Alexanderplatz“ gequält, wie er sagt. 20 Jahre später nimmt er sich den Klassiker in einer Neuverfilmung vor.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ gehört zu den Klassikern der deutschen Literatur. Auf der Berlinale stellt der Regisseur Burhan Qurbani seine Neuverfilmung vor. Mit dem Roman hat sich auch Qurbani nicht immer leicht getan. Bis der richtige Zeitpunkt kam.

Die einen haben „Berlin Alexanderplatz“ gerne gelesen, die anderen haben sich damit abgequält. Wie ging es Ihnen?

QURBANI Ich habe mich total gequält. Das war bei mir damals Abitur-Thema und ich habe mich so durchgekämpft. Vielleicht ist man in dem Alter einfach nicht so offen für das, was dieses Buch einem schenken kann. Ich habe erst ein paar Jahre später, als ich nach Berlin gekommen bin, den Roman beim Umzug wieder in der Hand gehabt.

Und dann?

QURBANI Ich habe angefangen, darin rumzublättern. Dann habe ich das auf eine ganz andere Art verschlungen. Da habe ich gemerkt, dass ich etwas damit machen will. Aber mir war von Anfang an klar, dass ich – schon allein wegen des schweren Schattens von Fassbinder – keinen Film machen will, der sich an die damalige Zeit hält. Sondern wir wollten ihn im Hier und Jetzt denken.

Wie viel werden wir noch erkennen?

QURBANI Ich glaube, wenn Sie das Buch aufmerksam gelesen haben, dann werden Sie ziemlich viel erkennen. Aber für uns war das Buch eher eine Plattform, um unsere eigene Idee umzusetzen. Unser Film beschränkt sich vor allem auf den eigentlichen Plot: die Dreiecksgeschichte, diese Ménage-à-trois zwischen Franz, Mieze und Reinhold.

Alfred Döblin hat den Roman vor 90 Jahren geschrieben. Was kann uns das Buch heute eigentlich noch erzählen?

QURBANI Das Buch interessiert sich für den Menschen und wie er sich in diesem Moloch Großstadt bewegt. Und das bleibt immer aktuell. Ich finde, Berlin hat nichts von der Qualität, die es in den 1920er oder 1930er Jahren hatte, verloren.

Empfinden Sie Berlin denn als Moloch?

QURBANI Das Berlin, in das ich gekommen bin, war eine unglaublich gefährliche Stadt, weil es so viele Möglichkeiten gibt, sich abzulenken und sich zu verlieren. Ich kann jeden Abend zu einer Vernissage, zum Konzert, zu einer Party oder zu einem Abendessen mit Freunden gehen und dabei komplett vergessen, was ich eigentlich machen wollte.

Nicht nur der Roman ist ja sehr bekannt, sondern auch die Fernsehserie von Rainer Werner Fassbinder. Wie viel Druck schafft es, wenn es so berühmte Vorlagen gibt?

QURBANI Ganz viel und ganz, ganz wenig. Der Druck ist da, weil die Industrie und ein Teil vom Kulturbetrieb einen ganz genau anschauen, sobald man diese Nachrichten herausgegeben hat. Aber da ist auch totale Freiheit, weil man irgendwann mit sich selbst ausmacht: „Ich kann diesen Erwartungen gar nicht gerecht werden. Ich mache einfach, was ich für richtig halte.“

Welche Stoffe werden aus Ihrer Sicht zu selten verfilmt?

QURBANI Ich habe das Gefühl, dass wir politischer werden. Also eine Auseinandersetzung mit uns, unserer Gesellschaft, unserer Politik. Den Stellen, wo unsere demokratisch-pluralistische Gesellschaft scheitert. Seit einer Weile legen wir den Finger wieder in diese Wunde. Aber das ist auch nur eine These.

Wie haben Sie für Ihren Film recherchiert?

QURBANI  Wir haben mit Mitgliedern von NGOs (Anm.: Nichtregierungsorganisationen) gesprochen, haben uns Interviewpartner vermitteln lassen und uns mit Flüchtlingen zusammengesetzt. Es ist schon eine Weile her, dass meine Eltern geflüchtet sind. Aber das ist etwas, was auch Teil von meinem Narrativ ist: Fremd zu sein in einem fremden Land.

Hat die Geschichte Ihrer Eltern, die Afghanistan verlassen haben, zuhause eine große Rolle gespielt?

QURBANI Wie kann es keine Rolle spielen, wenn man wie meine Eltern mit Anfang 20 aus seiner Heimat flieht? Das zehrt an einem. Hier anzukommen, um sich ein neues Leben aufzubauen, ohne Sprache, ohne die Familie als Rückhalt, ohne die Sicherheit von der Gesellschaft und der Kultur, die man kennt. Natürlich geben sie das auch an ihre Kinder weiter. Dieses Gefühl von einer Doppelbödigkeit, dass man sich immer wieder neu behaupten muss.

Das klingt nachvollziehbar.

QURBANI Ich bewundere meine Eltern, die es geschafft haben, innerhalb von einer Generation in der Mittelschicht zu landen. Ihre Kinder sind alle produktiver Teil der Gesellschaft. Das spricht für meine Eltern und ihre Arbeitsmoral. Aber es spricht auch für ein Land, das einem die Möglichkeit gibt, hier anzukommen. Selbst wenn ich das am Ende vielleicht nie schaffen werde, dann vielleicht die Generation meiner Kinder.

Haben Sie den Eindruck, das nicht zu schaffen?

QURBANI In meiner afghanischen Community war ich Außenseiter, dafür waren mein Bruder und ich zu sehr integriert in die deutsche Kultur. Gleichzeitig waren wir aber auch vom Aussehen zu fremd, als dass wir völlig absorbiert worden wären in der deutschen Community.

Und wie wird das Thema im Film?

QURBANI Auch in meinem Film steht die Idee davon, aufzugehen in der Gesellschaft. Für mich ist das immer noch eher Wunsch als Realität. Döblin wollte seinen Charakter Franz Biberkopf aus dem Subproletariat aufheben und am Ende des Romans in die Mittelschicht setzen. Wenn Sie fragen, was von dem Roman noch übrig bleibt: Das ist für mich eine Kernaussage, und das erzählen wir. Ein Mensch kommt als Fremder in ein fremdes Land. Er ist entblättert von Sprache, von Sicherheit, von Würde. Und er muss es irgendwie schaffen, über das eigene Scheitern zu sich selbst und hier ankommen.

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