Saarländische Identität 1945-1965 Bühne frei für das eigene Architekturerbe

Saarbrücken · Das Ausstellungsprojekt „Resonanzen“ im Saarbrücker Pingussonbau über die Wiederaufbauzeit 1945-65 nimmt Gestalt an – ein erster Ausblick.

 Der 1954/55 erbaute Sender „Europe 1“ in Berus. Unter den Franzosen erbaut, ist er als archtektonisches Juwel Teil des Projekts „Resonanzen“.

Der 1954/55 erbaute Sender „Europe 1“ in Berus. Unter den Franzosen erbaut, ist er als archtektonisches Juwel Teil des Projekts „Resonanzen“.

Foto: Robby Lorenz

Im einstigen Kinderzimmer der für den französischen Hochkommissar Gilbert Grandval geplanten Wohnung in der ehemaligen französischen Botschaft – heute besser bekannt als Pingussonbau – tagt an einem Vormittag Ende Juli wieder mal der „Lenkungskreis“ des Projekts „Resonanzen“. Man bespricht die Konzeption und Organisation der dort im September geplanten Ausstellung „Architektur im Aufbruch zu Europa (1945-1965)“. Redet über zu besorgende Architekturmodelle, die „Bespielung“ der einzelnen Räume, debattiert noch zu klärende baugeschichtliche Aspekte einzelner Exponate.

Volker Ziegler, der in Straßburg Architektur lehrt und den Vorsitz der Projektgruppe innehat, begreift das Ausstellungsvorhaben als ein Stück regionaler Selbstvergewisserung: Ziel des aus dem Fonds der Staatsministerin für Kultur, Monika Grütters, mit 200 000 Euro geförderten „Resonanzen“-Projekts, das sich als Beitrag zum „Europäischen Kulturerbejahr 2018“ versteht, sei es, die Nachkriegsära im Saarland in ihren komplexen europäischen Implikationen nachzuzeichnen. Der Untertitel des Resonanzen-Projekts – „Die langen Wellen der Utopie“ – spielt genau darauf an: Nicht nur die zur Zeit des französischen Hochkomissariats entwickelten Stadt-Utopien der an Le Corbusier geschulten französischen Urbanisten für Saarbrücken und Saarlouis sollen dokumentiert und in Erinnerung gerufen werden. Sondern etwa auch die an utopischem Gedankengut nicht minder arme Historie des Langwellensenders „Europe 1“ in Berus (und seines hinreißenden, in die Jahre 1954/55 zurückreichenden Gebäude-Ensembles) dabei Erwähnung finden. Ganz nebenbei: Die kuriosen deutsch-französischen Verwicklungen, die sich um die Sendergeschichte ranken, gäben viel Stoff für einen Roman her. Wer schreibt ihn?

Neben den Plänen von Georges-Henri Pingusson für Saarbrücken (und von Edouard Menkès für Saarlouis) sowie dem saarländischen Architektur-Juwel „Europe 1“ werden überdies die Kirchen- und Siedlungsbauten der 50er Jahre an der Saar im Zentrum der Ausstellung stehen. Damit nicht genug, soll es auch noch einen Exkurs speziell zum Städtebau geben. Das klingt vielversprechend und nach viel, viel Arbeit. Ein Eindruck, den der Juli-Besuch in der seit fast einem Jahr regelmäßig tagenden Arbeitsgruppe sogleich bestätigt.

Die Architekturkritikerin Marlen Dittmann, von Anfang an dabei neben Volker Ziegler, Uschi Macher (Kultusministerium), den Architekten Henning Freese, Carsten Dietz und Jean Marie Hellwig, der Kunsthistorikerin Beate Kolodziej und dem Denkmalpfleger Axel Böcker, spricht denn auch von einem „Vollzeitjob bei ehrenamtlicher Tätigkeit“. Eine der interessantesten Erkenntnisse seiner „Resonanzen“-Recherchen fasst Volker Ziegler an diesem Morgen in den Satz: „Die Menschen sind immer transnationaler als die Behörden.“ Während sich der Blick auf die gemeinsame europäische Identität in den lange Zeit nur auf das jeweils eigene historische Erbe fokussierten Verwaltungen dies- und jenseits der Grenze erst in den 90er Jahren geöffnet habe, sei der Alltag – gerade in Grenzregionen – immer schon „entgrenzter“ vonstatten gegangen.

Wenn man mit Uschi Macher an diesem Julimorgen durch den Pingussonbau läuft, in dem bis 2014 das Kultusministerium residierte (und mit Franz Josef Röder auch einer der Ministerpräsidenten wohnte, der manchmal dort sogar in einem längst stillgelegten, zum Garten hin gelegenen Pool nach Feierabend geplantscht haben soll), wird man sofort wieder eingefangen von dessen beglückender Bau-Architektur, außen wie innen. Dass der Pingussonbau so prachtvoll wirkt und in fast jedem erhaltenen Detail (von den Handläufen über die Lampen bis hin zu den Garderoben, den Raumproportionen und Blickachsen und den Wandteppichen von François Arnal) ästhetisch derart bezwingt, hat drei Gründe: Sein begnadeter Innenarchitekt Raphäl Raffel verstand sein Handwerk; die Franzosen wollten eine repräsentative Saar-Botschaft und nahmen dafür viel Geld in die Hand: Materialqualität, wo auch immer man hinschaut. Letzteres springt einem in diesem heutigen Land des Mangels im Inneren des Pingussonbaus auf jedem Meter als Kontrast zum sonst Gewohnten wohltuend ins Auge.

Wie aber soll denn nun das reiche saarländische Ideen-Erbe der 50er Jahre in die kommenden Monat eröffnende Ausstellung (9. September) einfließen? Lange haben die drei Kooperationspartner – der Werkbund Saar, das Kultusministerium und das für die technische Umsetzung und Inszenierung des Ganzen ins Boot geholte HBK-Knowhow des „Instituts für strategische Ästhetik“ (K 8) – das beratschlagt und debattiert. Vom eingezäunten Garten des Pingussonbaus werden die Besucher über die Freitreppe ins Innere und sodann gleich hinunter in den langen Flur am ehemaligen „Ehrenhof“ geleitet werden. Dort unten wird es losgehen – passenderweise mit einer Art saarländischen „Trümmergeschichte“ von 1945, verbunden mit einem „bunten Bilderbogen“ (Marlen Dittmann), der die „Franzosenzeit“ bis zu deren Ende mit dem 2. Saarstatut von 1955 (sowie die ersten Jahre als neues deutsches Bundesland) in Fotos und Filmen einfangen wird. Hernach wird man Pingussons Original-Plan für die Neuordnung Saarbrückens und ein Modell des Saarlouiser Pendants von Menkès in Augenschein nehmen und in einer, in der alten Empfangsgarderobe des Pingussonbaus eingerichteten „Hör-Lounge“ 60, 70 Jahre zurückreisen können.

Ein Stockwerk höher wird es neben einem (in der einstigen Kleinbühne der französischen Botschaft eingebauten) Diorama des „Ministerbüros“ dann Modelle, Vitrinen, Stelen und Banner zuhauf geben. Viel historische Identität wird dort aufgeboten werden – vom Siedlungs- und Kirchenbau der 50er (und dessen deutsch-französischen Wechselbezügen) über die einstigen Kumi-Kunstausstellungen der von Boris Kleint ins Leben gerufenen Künstlervereinigung „neue gruppe saar“ in den 60ern bis hin zu saarländischem Zeit-Kolorit der Ära 1945-65 und dem mit ihr eng verbundenen Sender „Europe 1“.

Am Parcoursende wird es dann noch ein „Erzähl-Café“ geben, das auch Raum für Workshop-Arbeiten lässt. Und eine Archivstation über eine interaktive Karte Zugriff auf alle Gebäude und Architekten geben. Nur: Ob all die geleistete Vorarbeit in einem Katalog dokumentiert werden kann, ist nicht gesichert. Derzeit ist unklar, ob das Geld dafür reichen wird. Man kann nur hoffen, dass das Saarland sich (und uns) diese Peinlichkeit ersparen wird.

Ausstellungseröffnung am 9. September um 18 Uhr im Pingussonbau. Finissage wird am 28. Oktober sein.

 Die 1952 bis 1955 von Gottfried Böhm in Saarbrücken erbaute Kirche St. Albert, einer der bedeutenden Sakralbauten der Wiederaufbauzeit.

Die 1952 bis 1955 von Gottfried Böhm in Saarbrücken erbaute Kirche St. Albert, einer der bedeutenden Sakralbauten der Wiederaufbauzeit.

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